Archivbeitrag | Newsletter 2020Wirtschaft wieder auf Kurs bringen: Leitlinien zur Überwindung der Coronafolgen
Die Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Coronapandemie haben die Sachsenwirtschaft um Jahre zurückgeworfen. Nach den Ad-hoc-Hilfsmaßnahmen, die Bund und Land auf den Weg gebracht haben, muss die Landespolitik jetzt die Weichen stellen, um die wirtschaftliche Lage mittel- und langfristig zu stabilisieren.
Infrastrukturmodernisierungen, Investitions- und Konsumanreize
Die sächsische Wirtschaft hat deshalb konkrete Vorschläge und Forderungen an die Staatsregierung erarbeitet, um den Freistaat aus der Krise zu führen und gleichzeitig strukturelle Defizite abzubauen. Das Leitlinienpapier "Gestärkt aus der Krise" das Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern an Ministerpräsident Michael Kretschmer und Wirtschaftsminister Martin Dulig übermittelt haben, stellt unter anderem zukunftsorientierte Infrastrukturmodernisierungen, Investitions- bzw. Konsumanreize sowie die Beschleunigung von Planungen in den Blickpunkt.
Der Freistaat müsse die Investitionsquote im kommenden sächsischen Doppelhaushalt erhöhen, damit Institutionen auf Landes- und Kommunalebene in Verkehrsinfrastruktur, in Digitalisierung, Breitbandausbau, E-Mobilität und selbstverständlich auch in Bildung vornehmen können. 600 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr wären hierfür erforderlich. Weitere 400 Millionen Euro jährlich sind aus Sicht der Wirtschaft für den Ausbau von Investitionsförderprogrammen und einen sächsischen Beteiligungsfonds notwendig, der die Eigenkapitalsituation der Unternehmen stärken solle.
"Zukunftsfähigkeit des Freistaates nicht riskieren!"
"Wir reden hier über enorme Summen, die ohne Neuverschuldung nicht möglich sein werden. Aber es darf jetzt keine Hängepartie geben, in der aus Angst vor ausbleibenden Steuereinnahmen Ausgaben gedrosselt werden. Damit würden wir eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die Wohlstand, Arbeitsplätze und damit die Zukunftsfähigkeit des Freistaates riskieren. Ebenso sind Steuererhöhungen in dieser Situation kontraproduktiv. Sie füllen zwar die Kassen des Landes, hemmen aber privaten Konsum und privatwirtschaftliche Investitionstätigkeit", sagt Claus Gröhn, Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig.
Die Wirtschaftsvertreter zielen mit dem Forderungskatalog jedoch nicht nur auf die finanzielle Stärkung der öffentlichen Verwaltung und der Unternehmen. Es gelte auch die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die berufliche Ausbildung zu minimieren. 50 Millionen Euro müsste Sachsen deshalb in ein Zuschussprogramm für Ausbildungsverhältnisse fließen lassen.
"Mit den Hilfen für von Kurzarbeit betroffene Ausbildungsbetriebe hat die Staatsregierung bereits signalisiert, dass sie die besondere Bedeutung der Ausbildungsbetriebe verstanden hat. Aber es muss darüber hinaus weitere Maßnahmen geben, damit Unternehmen, die unter finanziellen Druck geraten, ihr Engagement nicht in Frage stellen. Andernfalls hätten wir der kommenden Generation einen Bärendienst erwiesen", so Gröhn.
Mit den Forderungen nach Bürokratieabbau und schnelleren Antrags-, Planungs- und Genehmigungsverfahren weitere Themen im Leitlinienpapier berücksichtigt, die IHKn und Handwerkskammern schon lange fordern.
Gestärkt aus der Krise - Leitlinien der sächsischen Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern für ein Konjunkturprogramm zur Stabilisierung der sächsischen Wirtschaft während und nach der Corona-Krise
Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie wiegen für die sächsische Wirtschaft schwer. Lockerungen im öffentlichen Leben greifen nur langsam und schrittweise. Viele Unternehmen und deren Mitarbeiter sind weiterhin direkt oder indirekt von Einschränkungen in der Geschäftstätigkeit und im Wirtschaftsleben betroffen.
Mit den Programmen für die Wirtschaft hat die Politik in den vergangenen Wochen Unterstützung geleistet. Nicht alle Unternehmen wurden damit erreicht; für viele Betriebe gehen die getroffenen Maßnahmen nicht weit genug. Umso wichtiger ist, jetzt wieder stärker nach vorn zu blicken und die sächsische Wirtschaft zügig aus der Krise zu führen und ihre Zukunftsfähigkeit sicherzustellen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sollte der Freistaat zu den bereits veranschlagten Haushaltsmitteln mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich bereitstellen. Hierbei sind die folgenden fünf Kernbereiche des staatlichen Handelns im Freistaat Sachsen besonders wichtig:
Die Infrastruktur im Freistaat muss weiter modernisiert und zukunftsfest ausgebaut werden. Öffentliche Aufträge für Infrastrukturmaßnahmen steigern die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. Schwerpunkte der Investitionstätigkeit müssen bei Digitalisierung, Breitbandausbau, Elektromobilität, Bildung, Straße und Schiene liegen. Die Investitionen in Infrastruktur müssen vorausschauend geeignete Rahmenbedingungen für bekannte Zukunftsfelder setzen
Freistaat Sachsen: Erhöhung der Investitionsquote im kommenden sächsischen Doppelhaushalt auf mindestens 17 Prozent,
Sicherung der Investitionsfähigkeit der Kommunen: Stärkung der Haushalte durch Unterstützung von Investitionen (höhere Zuwendungen, Investitionspauschalen, Regionalbudgets),
Einfachere und schnellere Vergaben: Beschleunigung und Vereinfachung öffentlicher Vergaben, Erhöhung der Grenzen für freihändige Vergaben auf 250.000 Euro Ausweitung der Investitionsausgaben des Freistaates um mindestens 600 Millionen Euro p. a.
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2. Unternehmen stärken - Wirtschaftslandschaft stabilisieren
Privatwirtschaftliche Investitionen werden entscheidend für die Entwicklung der sächsischen Wirtschaft sein
Investitionsförderprogramm "Regionales Wachstum": Fortsetzung, Ausbau und sofortige Mittelbereitstellung für alle Regionen und kreisfreien Städte, Ausweitung im Bereich der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle/-prozesse, Steigerung der Resilienz und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit; Ermöglichung geringerer Investitionssummen; Stärkung regionaler Produktions- und Wertschöpfungsketten
GRW-Investitionszuschuss: anpassen, um den betrieblichen Entwicklungen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen aufgrund der Corona-Pandemie Rechnung zu tragen zum Beispiel: Befreiung von der Verpflichtung des Arbeitsplatzkriteriums sowie Unterstützung von Investitionen für Hygienemaßnahmen und zur Marktdiversifizierung Erhöhung der Förderungen für Unternehmensinvestitionen um 150 Millionen Euro p. a.
Sächsischer Beteiligungsfonds: mit einem Volumen von 250 Millionen Euro zur Stärkung des Eigenkapitals der von der Corona-Krise bedrohten sächsischen Unternehmen einrichten analog zum sächsischen Wachstumsfonds 3 Auflage eines sächsischen Beteiligungsfonds mit einem Volumen von 250 Millionen Euro
Bedingungen für Unternehmensnachfolgen und Existenzgründungen weiterentwickeln, um effektivere Instrumentarien für Nach-Krisen-Situationen zu schaffen.
Die digitale Modernisierung der sächsischen Betriebe muss noch stärker forciert werden. Die Innovations-, Technologie- und Digitalisierungsförderprogramme des Freistaates sind intelligent zu verzahnen und die Innovationsprämien zu erhöhen. Das Ziel ist die digitale Umgestaltung der Unternehmen.
Das Förderprogramm E-Business ist attraktiver zu gestalten.
3. Privaten Konsum fördern - Anreize setzen!
Der Konsum der Bürger und privaten Haushalte ist zu stimulieren
Stimulierungsinstrumente zur Belebung der regionalen Wirtschaftskreisläufe zum Beispiel Anerkennungs-Prämie: Anreize bei Konsumenten schaffen, um die von der SächsCoronaSchVO betroffenen Wirtschaftszweige wieder zu alter Stärke zu führen. Konsumanreize im Wert von 200 Millionen Euro durch den Freistaat Sachsen bereitstellen
4. Duale Berufsausbildung stärken!
Die duale Berufsausbildung ist ein Stabilitätsanker der deutschen Wirtschaft und wichtigste Stütze bei der Fachkräftesicherung der Unternehmen. Es müssen Perspektiven sowohl für Ausbildungsbetriebe als auch Auszubildende aufgezeigt werden.
Zuschussprogramm Ausbildung: Unterstützung Ausbildungsbetriebe bei Neueinstellungen, Verlängerung von Ausbildungsverhältnissen durch Betriebsschließungen, Übernahme von Auszubildenden von insolventen Betrieben und damit Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze Sächsisches Zuschussprogramm für Ausbildungsverhältnisse in Höhe von 50 Millionen Euro bereitstellen
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5. Belastungen reduzieren, Planungen und Verfahren beschleunigen!
Um Initiative und Engagement der Wirtschaft zu fördern, müssen bürokratische Auflagen zurückgefahren werden. Neue Auflagen, sofern nicht dringend geboten, müssen ausgesetzt und Planungsprozesse beschleunigt werden.
Belastungsmoratorium: bis mindestens Ende 2021 auf Landes- und kommunaler Ebene keine Steuer- und Abgabenerhöhungen sowie keine zusätzliche Bürokratie und regulatorische Verschärfungen für Wirtschaftsunternehmen
Vereinfachung und Beschleunigung: Empfehlungen der Kommission zur Vereinfachung von Förderverfahren sowie zur Verbesserung von Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller umsetzen
Darüber hinaus sollte sich der Freistaat Sachsen gemeinsam mit dem Bund und der EU für die schnelle Wiederherstellung aller Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt einsetzen. Dafür muss eine gemeinsame Wiederöffnung der Binnengrenzen und Abbau der Reisebeschränkungen forciert werden. Zudem muss die Bundesrepublik eine Initiative zur Reduzierung wirtschaftshemmender Sanktionen veranlassen.
Auf Bundesebene setzt sich der Freistaat ein und initiiert Mehrheiten für:
Abschaffung der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge,
sachgrundlose Rückstellung bis zu 200.000 Euro zur Stärkung der Krisenfestigkeit von Unternehmen,
Senkung der Stromsteuer auf europäisches Mindestmaß,
Abschreibungserleichterungen (Wiedereinführung der degressiven AfA, Sofortabschreibungen) und Wiedereinführung der Investitionszulage für digitale/technologische Zukunftsinvestitionen,
Deckelung der Steuerbelastung von Unternehmen bei 25 Prozent im Rahmen einer Unternehmenssteuerreform,
Verdoppelung von Steuerboni für Inanspruchnahme haushaltsnaher und handwerklicher Dienstleistungen.
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Innovation, Unternehmertum, der Fleiß der Menschen und das mutige Handeln der Politik waren und sind der Schlüssel zu einer guten Zukunft unseres Freistaates Sachsen.
8. Mai 2020
"Neue Schulden machen keinen neuen Mut!"
Wirtschaft und Gesellschaft haben eine Vollbremsung hingelegt. Unternehmen und Gesundheitssystem sind im Krisenmodus, um einen winzigen Feind zurückzudrängen. Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Handwerkskammer zu Leipzig, Claus Gröhn, darüber, wie die Lage im regionalen Handwerk ist, ob die Maßnahmen der Politik sinnvoll sind und wie es weitergeht.
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Wie kritisch ist die Lage im regionalen Handwerk?
Gröhn: Es ist wirklich sehr ernst. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben zu Umsatzausfällen, Auftragsstornierungen, Problemen in Lieferketten, Tätigkeitsverboten und anderen Verwerfungen geführt. Das hat über alle Gewerke hinweg die Positivtrends der Vorjahre abrupt gestoppt. Die 12.000 Unternehmen des Handwerkskammerbezirks tragen die Einschränkungen noch mit, müssen aber teilweise einen hohen Preis dafür zahlen. Und man sollte Klartext reden: Mancher Betrieb wird an dieser Prüfung auch scheitern. Ein winziger Hoffnungsschimmer für mich ist, dass die Auswirkungen des "Lockdown" nicht alle Gewerke gleich stark treffen und manche Aufträge nur verschoben werden. Während also Unternehmen mit viel Kundenkontakt bekanntermaßen zum Stillstand gezwungen waren und die Unternehmerinnen und Unternehmer sich um die eigene Existenz und die ihrer Angestellten sorgen, kann auf Baustellen weitergearbeitet werden. Für die Bauhaupt- sowie Ausbaugewerbe und bei den Handwerken für den gewerblichen Bedarf sieht es noch relativ gut aus. Bei diesen Betrieben bestehen die Probleme eher darin, die Versorgung mit Material sicherzustellen und geeignetes Personal zu finden - also beim bekannten Problem des Fachkräftemangels.
Wie viele der 12.000 Betriebe sind akut gefährdet?
Gröhn: Das ist im Augenblick noch schwer zu sagen. Relativ gesicherte Informationen haben wir für die Gewerke Friseur (rund 900 im Kammerbezirk) und Kosmetik (rund 700 im Kammerbezirk). Hier ist die Lage kritisch, da diese Betriebe ihr Gewerbe eine lange Zeit nicht ausüben durften und somit keine der Umsatz erzielt werden konnte. Bei den Nahrungsmittelhandwerken, den Gesundheitshandwerken, den Kraftfahrzeughandwerken und den Handwerken für den privaten Bedarf ist es noch zu früh für eine gesicherte Beurteilung. Soweit uns die Betriebe jedoch berichten, kommen die Kunden in die Lebensmittel- und Gesundheitsgeschäfte beziehungsweise in die Werkstätten. Allerdings läuft alles etwas langsamer ab. Die Betriebe lassen sich etwas einfallen und entfalten kreative Aktivitäten, um dem Umsatzrückgang irgendetwas entgegenzusetzen.
"Ein winziger Hoffnungsschimmer für mich ist, dass die Auswirkungen nicht alle Gewerke gleich stark treffen und manche Aufträge nur verschoben werden."
Warum fordern Sie Zuschüsse statt Kredithilfen? Haben Sie Hoffnung, dass das Land die starre Haltung noch ändert?
Gröhn: Kredite müssen zurückgezahlt werden, Zuschüsse nicht. Was nützen Kredite an die Betriebe, wenn sie in der Zukunft entweder durch die Rückzahlungen erdrückt werden oder - noch schlimmer - die Rückzahlungen nicht leisten können? Wir nehmen damit einerseits den unternehmerischen Gestaltungsspielraum in der Zukunft und es besteht andererseits die Gefahr, dass wir die Unternehmen in eine Überschuldung führen. Wir müssen unsere Betriebe heute stärken, damit diese auch morgen noch der Verantwortung für ihre Mitarbeiter und Familien gerecht werden können. Negative Folgen betreffen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Ohne Zuschüsse werden wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wir wissen, dass in einigen Branchen der Umsatz ersatzlos entfallen ist und die Betriebskosten weiterlaufen. Wenn in Zukunft wieder Umsatz erzielt werden kann, laufen die Betriebskosten weiter, nur mit einem Unterschied: Die Kreditrate kommt noch oben drauf. Es geht uns hier nicht um den Ersatz des (entgangenen) Gewinnes, sondern es geht für viele kleine und mittlere Betriebe um die nackte Existenz. Um das Thema einmal auf die Spitze zu treiben, bietet sich ein Vergleich an: Wenn es Unternehmen gutgeht, zahlen sie Unternehmenssteuern. Wenn es ihnen um die Existenz geht, brauchen sie Zuschüsse. Unsere Steuern geben wir dem Staat schließlich auch nicht als Darlehen! Wir brauchen dringend einen Ersatz für den weggefallenen Umsatz. Und dieser Ersatz heißt Zuschuss.Umso mehr ärgert es mich, dass unsere seit Jahren erhobene Forderung nach einer Möglichkeit, sachgrundlose Rückstellungen im Steuerrecht zu bilden, von der Politik nicht gehört wurden. Wir unterbreiten den Vorschlag immer und immer wieder. Das Instrument hätte es den Unternehmern jetzt erlaubt, Reserven aufzulösen und selbstbestimmt in der Krise zu agieren. Aber nein, man vertraut uns einfach nicht, sachgerecht und eigenverantwortlich mit so einem steuerlichen Gestaltungsspielraum umzugehen. Das rächt sich nun. Mittlerweile findet unser Vorschlag auch in der überregionalen Presse - zum Beispiel im Handelsblatt vom30. April - Gehör. Steuerexperten von Rang und Namen argumentieren in die gleiche Richtung. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Unternehmer sehr genau wissen, welche Vorsorge sie für Krisenzeiten treffen müssen. Man muss sie aber auch lassen.
Wie haben Sie Ihre Forderungen an die Politik adressiert?
Gröhn: Zunächst stellt sich die Frage, wann wir an die Politik herangetreten sind. Seit über zwei Jahren steht unsere Forderung nach sachgrundlosen Rückstellungen im Raum. Und warum sind wir überhaupt mit diesem Thema unterwegs? In der aktuellen Situation hätte dieses Instrument, wenn es uns zur Verfügung stehen würde, viele Probleme gelöst. Vor allem hätten wir Unternehmer selbstbewusst und eigenständig agieren und Entscheidungen treffen können.
"Wenn es Unternehmen gut geht, zahlen sie Unternehmenssteuern. Wenn es ihnen um die Existenz geht, brauchen sie Zuschüsse. Unsere Steuern geben wir dem Staat schließlich auch nicht als Darlehen!"
Diese Krise zeigt, unsere Betriebe müssen in Eigenverantwortung Vorsorge für schlechte Zeiten treffen dürfen. Im sächsischen Handwerk agieren die drei Kammern in der Regel gemeinsam. Sowohl der Ministerpräsident als auch der sächsische Wirtschaftsminister kennen unsere Standpunkte, und wir unternehmen regelmäßig den Versuch, unsere Sichtweisen in das politische System einzuspeisen – sowohl in Gesprächen als auch in schriftlichen Konzepten. Daneben hat sich die Handwerkskammer gemeinsam mit den Kreishandwerkerschaften an die Bundeskanzlerin gewandt, um unserem Vorschlag zu den sachgrundlosen Rückstellungen noch einmal Nachdruck zu verleihen. Wir hatten den Eindruck, dass Bundesthemen nicht nur über die Kanäle des Freistaats Sachsen transportiert werden müssen, sondern das Kanzleramt direkt erreichen müssen. Den gesamten Schriftverkehr mit den Landes- und Bundesministerien sowie dem Kanzleramt finden unsere Mitglieder auf der Webseite der Handwerkskammer. Dort dokumentieren wir auch die gesamte Presseberichterstattung in der Coronakrise.
Wie bewerten Sie insgesamt die Hilfspakete auf Bundes- und Landesebene?
Gröhn: Wir sind froh, dass es mittlerweile für die kleinen Unternehmen Zuschüsse vom Bund gibt und dass der Freistaat früh mit dem Kreditprogramm "Sachsen hilft sofort" begonnen hat. Seit 15. April ist dieses auch für Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten geöffnet worden. Im Kreditprogramm versteckt sich - indirekt und unter Einhaltung gewisser Bedingungen - immerhin ein kleiner Zuschuss für die mittleren Unternehmen. Aber warum so kompliziert? Die Notwendigkeit sich zu verschulden, hat auch eine psychologische Wirkung. Ich kann Unternehmer verstehen, die Mitte 50 sind und nun ernste Zweifel haben, überhaupt weiterzumachen. Die Krise verursacht genügend Herausforderungen, neue Schulden machen keinen neuen Mut. Und neuen Mut müssen wir auch beweisen, wenn es nun darum geht, überflüssige Regelwerke, die Arbeitnehmern und Arbeitgebern Fesseln anlegen, über Bord zu werfen. Eine Erkenntnis aus dieser Krise muss es sein, unsere Wirtschaft durch den Abbau von Bürokratie zukunftsfest zu machen. Wir brauchen Macher und keine Bedenkenträger, um wieder in die Normalität zurückzufinden. Aber Macher muss man auch machen lassen!
Welche konkrete Gefahr sehen Sie für bestehende Ausbildungsverhältnisse?
Gröhn: Insbesondere bei einer Insolvenz sind Ausbildungsverhältnisse gefährdet. Daneben besteht das Problem, dass Lehrlinge bei Kurzarbeit erst nach sechs Wochen einen Leistungsanspruch haben. Diese Entgeltfortzahlung ist für zahlreiche Betriebe ein Problem. Die Stadt Leipzig hat hier mit dem Programm "Leipzig sichert Ausbildung" richtig reagiert. Mit einem Zuschuss von 927 Euro pro Lehrvertrag sollte verhindert werden, dass junge Menschen wieder massenhaft die Region verlassen und der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren schlimmer wird. Offenbar hat sich der Freistaat Sachsen daran ein Beispiel genommen und wenige Wochen später ein eigenes Programm auf den Weg gebracht, welches nun in ganz Sachsen Wirkung entfalten kann.
Wie lange kann das Handwerk unter den jetzigen Einschränkungen noch durchhalten?
Gröhn: Das kommt darauf an, wie lange die verschiedenen Einschränkungen noch anhalten und ob die Politik anhand des Infektionsgeschehens vielleicht sogar gelockerte Beschränkungen wieder verschärft. Das wäre besonders fatal. Außerdem muss man hier nach Gewerken differenzieren. Friseure, Kosmetiker und Fußpfleger haben nach meiner Einschätzung am meisten gelitten und die größte Durststrecke nun hoffentlich hinter sich. Auf dem Bau sieht es noch relativ gut aus, wenn man von den fehlenden Fachkräften absieht und die Gebäudereiniger dürften aktuell auch genug zu tun haben.
Auch die Handwerkskammer selbst dürfte die Schockwellen der Krise spüren? Welche Maßnahmen wurden ergriffen?
Gröhn: Jeder Umbruch im Handwerk wirkt sich selbstverständlich - wenn auch mitunter zeitverzögert - auf die Handwerksorganisation aus. Deshalb mussten wir das Wohl der Mitglieder und die Leistungsfähigkeit der Handwerkskammer gleichermaßen im Blick behalten. Der Vorstand unserer Handwerkskammer hat schon in der ersten Märzwoche entschieden, das Zahlungsziel für den Kammerbeitrag vom Frühjahr auf den Herbst zu verschieben. Zu diesem Zeitpunkt war noch gar nicht absehbar, mit welcher Wucht uns die Ereignisse treffen werden. Jetzt stellt sich diese Entscheidung als richtig heraus und betroffene Unternehmer haben Planungssicherheit. Der Beitrag zur Handwerkskammer ist zudem eine Betriebsausgabe und im Rahmen des Zuschussprogramms des Bundes zuschussfähig. Mit der Schließung unseres Bildungs- und Technologiezentrums haben wir zudem die Mehrzahl der Mitarbeiter der Handwerkskammer umgehend in Kurzarbeit geschickt.
Dieser Schritt ist uns nicht leichtgefallen, aber hier stand einerseits der Gesundheitsschutz und andererseits das Thema Liquiditätsschonung im Mittelpunkt. Die verbleibende Belegschaft wurde überwiegend für die momentan wichtigste Aufgabe - die Betriebsberatung - eingesetzt. Der Informationsbedarf der Betriebe war enorm. Die Anzahl der Anrufe lag an vielen Tagen im dreistelligen Bereich. Unser Ziel war es, jeden Handwerker, der Beratungsbedarf hat, so schnell wie möglich zu erreichen. Auch jetzt ist die Corona-Hotline unter 0341 2188-300 montags bis samstags weiter erreichbar. Daneben haben wir unser Informationsangebot auf www.hwk-leipzig.de auf die Krise ausgerichtet. Wir haben hier den Anspruch, schnell zu informieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, nur abgesicherte Fakten zu verbreiten. Der Aufwand, den wir betreiben mussten, um Informationen zu hinterfragen und Auslegungen vorzunehmen, war und ist immens. Dabei haben uns auch widersprüchliche Medieninformationen regelmäßig das Leben schwergemacht. Exemplarisch möchte ich hier die Kommunikation der Staatsregierung zum Thema Kosmetiker nennen. Das hat viele Unternehmer verunsichert und mich sehr an das alte Kinderlied "Vor, zurück, zur Seite, ran" erinnert.
"Der Informationsbedarf war enorm. Die Anzahl der Anrufe lag an vielen Tagen im dreistelligen Bereich. [...] Die Corona-Hotline ist auch weiterhin unter 0341 2188-300 erreichbar."
Gab es ein Krisenszenario für die Handwerkskammer?
Gröhn: Der Vorstand hat drei Schwerpunkte festgelegt, die als Richtschnur gelten: Beratung und Pressearbeit, IT-Sicherheit und Liquidität. Daran wurde vorrangig gearbeitet. Die Liquiditätssteuerung erfolgt nun taggenau, um Risiken zeitnah zu erkennen. Investitions- und Instandhaltungsmaßnahmen haben wir auf den Prüfstand gestellt. Dabei stehen wir aber im Spagat: Liquidität der Kammer schonen, aber dadurch der regionalen Wirtschaft Aufträge zu entziehen. Ansteckungsrisiken innerhalb der Belegschaft haben wir bislang erfolgreich dadurch ausgeschlossen, dass wir räumliche Trennungen und gut strukturierte Homeoffice-Möglichkeiten geschaffen haben. Hier bewährt sich die hervorragende technische Infrastruktur, welche wir in den letzten Jahren schaffen konnten. Die Mitarbeiter sind in der Lage, auch vom heimischen Arbeitsplatz für das Handwerk tätig zu werden und dabei auf das IT-Netzwerk der Handwerkskammer zuzugreifen. Die Koordinierung der vielen Anfragen bei dieser räumlichen Verteilung war trotzdem keine leichte Aufgabe. Mit einer zentralen Beratungsdatei konnten die verschiedenen Arbeitsaufträge bisher aber gut gestreut werden. Weiterhin wurden für den Fall einer infektionsbedingten Schließung des Leipziger Haus des Handwerks schon zu Beginn der Krise Rückfallmöglichkeiten geschaffen, um auch von außerhalb Vitalfunktionen, wie Beratung, Finanzbuchhaltung und EDV, aufrechterhalten zu können. Bisher bestand hierfür glücklicherweise kein Bedarf.
Wie geht es nun im Bildungs- und Technologiezentrum weiter?
Gröhn: Wir haben am 4. Mai damit begonnen, unser Bildungszentrum wieder hochzufahren. Mit höchster Priorität haben wir damit begonnen, Gesellenabschlussprüfungen vor- und abzuarbeiten. Wir müssen insbesondere dafür Sorge tragen, dass das dritte Ausbildungsjahr die Berufsausbildung abschließen kann, um den Fachkräftebedarf des Handwerks nicht weiter zu verschärfen. Also beginnen wir sukzessive mit den Prüfungen. Im ersten Schritt werden auch prüfungskritische überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen (ÜLU) in Angriff genommen. Wir fahren das BTZ aber sehr behutsam hoch, um im laufenden Prozess zu lernen, wie wir die geforderten Hygieneanforderungen effektiv umsetzen können und welche Einschränkungen wir mit Hinblick auf den Gesundheitsschutz bewältigen müssen. Glücklicherweise wurde uns bei der ÜLU ein flexibles Regelwerk an die Hand gegeben, welches es erlaubt, die Lehrlinge auch in kürzeren Zeiträumen und auch an nicht zusammenhängenden Tagen zu Lehrgängen einzuladen. In einem zweiten Schritt werden wir beginnen zunächst Meisterprüfungen zu organisieren und danach auch wieder unsere Meistervorbereitungslehrgänge anzubieten. Einiges wird zwischen der Aufzeichnung dieses Interviews und seinem Erscheinen schon passiert sein. Für aktuelle Informationen möchte ich unseren Mitgliedern und Kunden deshalb noch einmal Webseite der Handwerkskammer empfehlen.
Haben Sie einen Ausblick für uns?
Gröhn: Viele Antworten, die wir uns im Augenblick wünschen, bekommen wir zurzeit nicht. Täglich müssen wir anhand von Informationen mit begrenzter Halbwertszeit Entscheidungen treffen. Das Miteinander unter Familienmitgliedern, Freunden und Arbeitskollegen hat sich verändert. Mancher Unternehmer macht sich große Sorgen um sein Lebenswerk und um die Zukunft seiner Mitarbeiter. Unter diesen Bedingungen sollte für uns alle gelten, dass Vernunft und Anstand durch nichts zu ersetzen sind. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Handwerksbetrieben der Region Leipzig, vom Lehrling im ersten Lehrjahr bis zur gestandenen Handwerksmeisterin, herzlich für das bisherige Durchhalten bedanken. Es imponiert mir, wie viele Handwerker, die Folgen der Krise managen und wie sie sich gegenseitig unterstützen. Schöpfen Sie Mut aus der Tatsache, dass Sie etwas "Handfestes" gelernt haben und ihre Qualitäten in der Nach-Corona-Ära gebraucht werden.