Tino Fügemann / Friseurmeister

Zwischen Salon-Leitung und Travestie-Shows

Der große Traum, einmal im Handwerk zu arbeiten, schien für Tino Fügemann niemals in Erfüllung zu gehen. Bereits in der Mittelschule ließ man ihn bei der Berufsberatung wissen, dass eine Karriere als Friseur mit seiner körperlichen Behinderung illusorisch sei. Ein paar Jahre vorher hatte er bei den Proben für ein Krippenspiel eine schwere Verletzung an der linken Hand erlitten. Komplikationen durch eine Blutvergiftung führten zu acht Operationen. "Es stand kurz vor der Amputation", erzählt der gebürtige Mecklenburger. Jahre der Physiotherapie folgten, doch die Lage schien aussichtslos.

Mit dieser Aussicht zog Tino Fügemann nach seinem Schulabschluss aus seinem Dorf an der Ostsee in die Großstadt nach Leipzig. Er beginnt eine Ausbildung zum Sozialassistenten, will später vielleicht Erzieher oder Altenpfleger werden. Doch je mehr er von seiner zukünftigen Arbeitsrealität im Sozialwesen mitbekommt, desto unzufriedener wird er. Nach seiner bestandenen Prüfung bewirbt er sich stattdessen um eine Lehrstelle als Friseur – und wird zu seiner Überraschung direkt eingestellt. Im Laufe der Ausbildung wechselt er zur Klier Hair Group – der größten Friseur-Kette in Deutschland – und findet dort sein Glück.

Schnell darf er eigene Kunden bedienen und sich die Techniken aneignen, um auch mit seiner Verletzung makellose Dauerwellen zu wickeln und schwierige Haarschnitte zu perfektionieren – auch wenn ihm dabei manchmal der Kamm aus der Hand rutscht. "Das hat aber meine Kunden nie gestört, weil ich immer offen damit umgegangen bin", erzählt der Jungmeister. Zwei Jahre nach seiner Gesellenprüfung wird er gefragt, ob er sich vorstellen könnte, einen Klier-Salon in Halle an der Saale zu leiten.

Tino Fügemann findet schnell Gefallen daran, Personalverantwortung zu haben und mit Budgets zu hantieren. Im August 2018 beginnt er deshalb seine Meisterausbildung, die er parallel zum Job absolviert. Um für die Prüfungen zu lernen, nimmt er immer wieder unbezahlten Urlaub. "Die Zeit war sehr herausfordernd, aber auch extrem lehrreich", resümiert der heute 27-Jährige.

Sein Abschlussmodell für die Meisterprüfung stylt er als böse Eiskönigin, mit Abendrobe und edelsteinbesetztem Collier.

Nach der bestandenen Prüfung ist er unglaublich stolz, zur Elite in seinem Handwerk zu gehören. "Das waren allein mein Wille und meine Leidenschaft für diesen Beruf", erzählt Fügemann, der schon in seiner Kindheit künstlerisch interessiert war.
 

 
"Es waren mein Wille und meine Leidenschaft für diesen Beruf, die mich schließlich bis zum Meisterabschluss gebracht haben."
 

Das hat sich bis heute erhalten: So organisiert Tino Fügemann seit einigen Jahren seine eigenen Travestie-Shows für Geburtstage, Firmenfeiern oder Hochzeiten. Als "Lili Loreen" trägt er Make-up und selbstfrisierte Perücken und schlüpft in Frauenkleider, um mit einem Potpourri aus Live-Gesang, Tanzeinlagen und witzigen Parodien sein Publikum zu unterhalten. "Die Ausflüge in diese bunte Welt sind der perfekte Ausgleich zu meinem Job", sagt Fügemann, der im vergangenen Jahr auch privat sein Glück fand und seinen Lebensgefährten heiratete.

Im Beruf läuft es ähnlich gut: Mittlerweile leitet er einen neuen Salon im Halleschen Einkaufspark. Das Geschäft dort gehört zur trendbewussten Klier-Marke "essanelle". Zu seinem Team gehören zehn Mitarbeiter, darunter auch drei Auszubildende. "Die Arbeit mit den jungen Menschen macht mir besonders Spaß, weil ich gern meine Erfahrungen weitergebe", erzählt Fügemann. So könnte er sich auch vorstellen, als Lehrer an einer Berufsschule zu arbeiten – oder irgendwann vielleicht auch seinen eigenen Salon zu eröffnen. Momentan ist er aber glücklich als Salonleiter. "Das schönste an meinem Beruf", sagt der Friseurmeister, "sind jeden Tag die strahlenden Gesichter der Kunden, die hier mit einem zufriedenen Lächeln und größerem Selbstbewusstsein aus dem Salon gehen."

Tino Fügemann

von Robert Iwanetz