Deutsches Handwerksblatt | Ausgabe 11/2024Schiefer-Herzen in 60 Meter Höhe
Dachdecker Mirko Fischer und sein Team haben das über 100 Jahre alte Schieferdach einer Kirche im niedersächsischen Alfeld erneuert. Die Bürger konnten im Livestream dabei zusehen.

Ein Porträt von Robert Iwanetz.
Dachdecker Mirko Fischer und sein Team haben das über 100 Jahre alte Schieferdach einer Kirche im niedersächsischen Alfeld erneuert. Die Bürger konnten im Livestream dabei zusehen.
Zwei Jahre lang, immer vom Frühjahr bis in den Herbst hinein, waren Mirko Fischer und sein Team auf der St.-Nicolai-Kirche in Alfeld zugange. Genauer gesagt: auf den beiden Kirchtürmen, die seit 1488 die niedersächsische Kleinstadt bei Hildesheim zieren. »Die Stimmung war meistens super. Wir hatten oben unser Radio laufen und wenn ein gutes Lied kam, haben alle laut mitgesungen«, erinnert sich der Inhaber von »Style Dach Fischer«. Irgendwann sei das so normal im Stadtalltag gewesen, dass ihm die Anwohner Nachrichten schrieben, wo sie denn seien, wenn mal kein Gesang vom Kirchendach ertönte.
»Das Projekt war in vielerlei Hinsicht ein absolutes Highlight für uns«, sagt der 48-Jährige, der mittlerweile sieben Angestellte beschäftigt. »Wir sind spezialisiert auf Denkmalschutzobjekte in ganz Deutschland«, so der Inhaber weiter. Zusammen mit seinem Team hat er zahlreiche Dächer von Klöstern, Kirchen und historischen Villen saniert. In Alfeld lautete die Aufgabe: Das Dach des Gotteshauses, dessen Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, grundlegend zu erneuern. Die alte Schieferdeckung hatte bereits über 100 Jahre auf dem Buckel. Viele Nagelköpfe waren durchgerostet. Die originalen Schieferplatten drohten nach unten zu knallen. Rund 1,3 Millionen Euro hatten Landkreis, Stadt und Kirchenkreis für Ausbesserungen an der Dachkonstruktion zusammengetragen.
Historischen Zustand des Dachs erhalten
Den Auftrag hatte Mirko Fischer auf der »denkmal« 2018 in Leipzig ergattert. Das zuständige Architekturbüro hatte nach Experten für Schieferdeckungen gesucht. Der »Style Dach«-Inhaber unterstützte damals den Messestand der Donath Dachdeckerei und Zimmerei GmbH aus Wonsees in Oberfranken. Das Problem: Fischer, der bis heute nicht die Zeit fand, eine Meisterschule zu besuchen, hatte damals nur ein Reisegewerbe angemeldet. Nach einem Gespräch zwischen Heiko Schubert, dem Geschäftsführer der Donath GmbH, dem Architekten und Mirko Fischer fand sich aber eine Lösung: Die Donath GmbH nahm den Auftrag an und »Style Dach« führte die Arbeiten als Subunternehmer aus. »Das war ein großer Vertrauensbeweis, denn das riesige Objekt war nicht ohne«, bilanziert Mirko Fischer. Im Frühjahr 2021 ging es los: Fischer parkte seinen Wohnwagen vor der Kirche, der in nächsten Monaten dort einwachsen sollte, weil die Arbeit so zeitintensiv war. »Das Herausfordernde an dem Projekt waren die vielen Details«, sagt der gebürtige Colditzer. Neben über 600 Quadratmetern Grundfläche gab es zahlreiche Ecken, Erker, Gauben, Giebel und Türme mit Schiefer zu versehen. Die letzten Dachdecker, die vor mehr als 100 Jahren tätig waren, hatten an einigen Stellen sogar kleine Schieferapplikationen als Dekoration hinterlassen. Also stand Mirko Fischer auf dem Baugerüst und schnitzte in 60 Meter Höhe kleine Blumen und Herzen aus Schiefer. Seinen Arbeitsfortschritt stellte er als Kurzvideos in die örtliche Facebook-Gruppe, woraufhin prompt manche Bürger fragten, wieso man Steuergelder für solchen Schnickschnack ausgebe. »Wir wollten den historischen Zustand des Dachs erhalten – mit all seinen Details«, erklärt Mirko Fischer. Der überwältigende Anteil der Reaktion sei aber sowieso positiv gewesen. »Noch heute kriegen wir manchmal Dankesnachrichten zugeschickt.«
Der Handwerker-Influencer
Für seine Firma sei das Projekt wegweisend gewesen. »In Alfeld haben wir neben den normalen Videos auch zum ersten Mal einen Livestream von der Baustelle gehabt«, sagt der Dachdecker, der 2011 seine ersten Schritte im Social-Media-Kosmos unternahm und kurze Videos auf Facebook hochlud. Heute, 13 Jahre später, muss man ihn eigentlich schon einen Handwerker-Influencer nennen. Mit insgesamt vier Go-Pro-Kameras ausgerüstet filmt er mittlerweile jedes Projekt, das seine Firma betreut. Fast jeden Tag stellt er kurze Videos ins Netz und bietet komplette Livestreams von den Baustellen. Um dafür immer genügend Internetempfang zu haben, hat er sich eine eigene, vier Meter hohe Holzkonstruktion mit Router-Antenne obendrauf gebaut. Wenn dann alles klappt, gucken manchmal 2.000 Menschen live zu, wie seine Firma ein Dach saniert. Eines seiner kürzeren Videos, auf dem er zeigt, wie man Schieferplatten richtig bricht, hatte über 20 Millionen Aufrufe bei den verschiedenen Plattformen. »Mir macht es großen Spaß zu zeigen, wie unterhaltsam Handwerk sein kann und was wir für tolle Arbeit erledigen«, sagt Fischer.
Auf Facebook hat er mittlerweile 51.000 Follower, auf Instagram 53.000, auf YouTube 70.000. »Wir kriegen sehr viele Aufträge über Social Media und auch Personalanfragen von Leuten, die bei uns anfangen wollen«, sagt der begeisterte Motorrad-Fan, der mittlerweile sogar seinen ersten Lehrling ausbildet, zusammen mit seinem angestellten Jungmeister. »Dieser Erfolg fußt auch auf den Kirchtürmen von Alfeld, von daher bin ich besonders stolz auf die Arbeit, die wir dort abgeliefert haben.«