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Archivbeitrag | Newsletter 2014Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie: 8,50 Euro gesetzlicher Mindestlohn ab 2015

Friseure, Dachdecker, Textilreiniger, das Elektrohandwerk und das Bauhauptgewerbe haben bereits Erfahrungen mit Mindestlöhnen gemacht. Nun kommt ab 2015 erstmals eine allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze, denn am 3. Juli 2014 hat der Deutsche Bundestag das Tarifautonomiestärkungsgesetz verabschiedet.

Das Gesetzesprojekt der Großen Koalition wird nach der abschließenden Zustimmung des Bundesrates einen Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

Skepsis gegenüber dem Mindestlohn bei ZDH und Wirtschaftsexperten

Im Vorfeld hatte es bereits viel Kritik an dem Vorhaben gegeben. So kritisierte der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), dass der Mindestlohn gewachsene Tarifstrukturen einzelner Branchen und Regionen bedrohe und falsche Anreize für junge Leute setze. Verschiedene Wirtschaftsexperten und -institute stehen dem Mindestlohn ebenfalls skeptisch gegenüber. Befürchtet werden Arbeitsplatzverluste und ein Anstieg der Schwarzarbeit.

Der Unternehmerverband Deutsches Handwerk e.V. hat die Regelungen am 9. bzw. 14. Juli 2014 wie folgt zusammengefasst.


Zentraler Gegenstand des Tarifautonomiestärkungsgesetzes ist die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro durch das neue Mindestlohngesetz (MiLoG). Darüber hinaus sind Änderungen im Tarifvertragsgesetz (TVG) zur Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, Änderungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) und weiterer Gesetze beschlossen worden.

I. Mindestlohngesetz
  • Ab dem 1. Januar 2015 wird ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Zeitstunde eingeführt.
     
  • Der Mindestlohn gilt für alle sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Deutschland sowie für geringfügig Beschäftigte (Minijobber, kurzfristig Beschäftigte). Damit gilt er auch für alle in Deutschland beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob sie bei einem in- oder ausländischen  Unternehmen beschäftigt sind.
     
  • Der Mindestlohn findet keine Anwendung auf:
  • Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung,
  • Auszubildende (ohne Altersgrenze, sofern sie in einem Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz stehen),
  • Behinderte (in Einrichtungen nach dem SGB IX),
  • Ehrenamtlich Tätige,
  • Praktikanten, die ein verpflichtendes Praktikum im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Studium absolvieren oder ein Berufsorientierungspraktikum von maximal 3 Monaten für die Wahl einer Ausbildung oder Studium machen. Gleiches gilt für freiwillige Praktika mit Ausbildungsbezug im Studium oder in der Ausbildung von bis zu 3 Monaten, aber nur wenn das Praktikum nicht mehrfach bei der gleichen Stelle stattfindet. Allerdings müssen wegen einer Änderung des Nachweisgesetzes zukünftig Praktikaverträge schriftlich fixiert werden.
  • Langzeitarbeitslose und bei Beschäftigten, die zuvor über ein Jahr arbeitslos waren, kann der Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung vom Mindestlohn abweichen.

So positiv die Herausnahme von Auszubildenden aus dem Anwendungsbereich des MiLoG ist, so enttäuschend ist die Festsetzung der Altersgrenze von 18 Jahren für Jugendliche ohne eine Berufsausbildung, die nach Auffassung des Handwerks deutlich zu niedrig angesetzt ist und sich damit negativ auf die Ausbildungsbereitschaft auswirken kann. Erfreulich ist hingegen die Verlängerung der Dauer von Berufsorientierungspraktika auf drei Monate, nachdem zunächst im Referentenentwurf nur vier und im Gesetzentwurf sechs Wochen vorgesehen waren. Ob die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose tatsächlich Beschäftigungshürden abbaut, muss die Praxis zeigen.

  • Übergangsregelung für Mindestlohntarifverträge
     
    In einer Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2017 sind tarifvertragliche Abweichungen in Form von Mindestlohntarifverträgen, die auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärt werden, möglich. Damit wird eine Forderung des Handwerks teilweise aufgegriffen, das sich für einen generellen Vorrang repräsentativer bzw. allgemeinverbindlicher tarifvertraglicher Regelungen gegenüber dem gesetzlichen Mindestlohn eingesetzt hatte. Von dieser Handlungsoption werden im Handwerk aller Voraussicht nach das Friseur-, Bäcker- und Textilreinigungshandwerk Gebrauch machen. Im Vergleich zum Kabinettsentwurf wurde die Übergangszeit um ein Jahr verlängert. 
     
  • Anpassungen durch Mindestlohn-Kommission
     
    Eine so genannte Mindestlohn-Kommission, bestehend aus einem Vorsitzenden,
    zwei beratenden Mitglieder und je drei von den Spitzenverbänden der Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer vorgeschlagenen stimmberechtigten Mitgliedern, wird erstmals bis zum 30. Juni 2016 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 über eine etwaige Anpassung der Höhe des Mindestlohnes beschließen. Danach sind mögliche Anpassungen des Mindestlohnes in einem zweijährigen Turnus vorgesehen.
     
    Zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ist die Mindestlohn-Kommission aufgefordert, die Auswirkungen des Mindestlohnes auf den Schutz von Arbeitnehmern, die Wettbewerbsbedingungen, die Beschäftigungsentwicklung in bestimmten Branchen und Regionen sowie die Produktivität laufend zu evaluieren und in einem Bericht alle zwei Jahre die Bundesregierung zu unterrichten.
     
    Sowohl die Einführung eines zweijährigen Anpassungsturnus als auch eine zeitnahe Evaluierung der Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohnes auf den Arbeitsmarkt entspricht den Forderungen des Handwerks. Damit kann eine tarifpolitische Instrumentalisierung des gesetzlichen Mindestlohnes abgemildert und bei arbeitsmarktpolitischen Fehlentwicklungen frühzeitig gegengesteuert werden.
     
  • Praxisrelevante Regelungen zur Durchführung und Kontrolle des Mindestlohnes
     
    Die Regelung über Arbeitszeitkonten, wonach diese innerhalb von zwölf Monaten ausgeglichen werden müssen und die monatlichen Arbeitsstunden jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen dürfen, gilt nur für "Mindestlohnbeschäftigungsverhältnisse", bei denen der Anspruch auf den Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden nicht bereits durch Zahlung des verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt ist. Damit wird die vom Handwerk als zu weitgehend kritisierte ursprüngliche Regelung, die zu erheblichen Einschränkungen tarifvertraglicher und betrieblicher Regelungen geführt hätte, auf ein praktikables Maß zurückgestuft.
     
    Die Regelung zur Generalunternehmerhaftung (§ 13 MiLoG) wird unmittelbar aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (dort § 14 AEntG) übernommen. Damit haftet der Auftraggeber "nur" für den Nettolohn. Exkulpationsmöglichkeiten bspw. durch die richtige Auswahl des Auftragnehmers sind jedoch nicht vorgesehen. Für das Handwerk ist und bleibt zweifelhaft, ob angesichts der Publizitätswirkung des in der Öffentlichkeit hinreichend bekannten gesetzlichen Mindestlohnes eine derart strenge Haftungsregelung überhaupt erforderlich ist. 
     
    Die weitgehenden Dokumentationspflichten in § 17 MiLoG können durch Rechtsverordnungen des Bundesministeriums der Finanzen vereinfacht oder geändert werden, sofern Besonderheiten der zu erbringenden Werk- oder Dienstleistungen oder Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftsbereiches oder Wirtschaftszweiges dies erfordern.
     
    Das Handwerk hatte die umfänglichen Dokumentationspflichten - gerade mit Blick auf Minijobs - als erhebliche administrative Belastung insbesondere für kleine Betriebe kritisiert. Insofern ist begrüßenswert, dass die rechtstechnisch einfach umzusetzende Möglichkeit geschaffen wurde, bei festgestellten Belastungen bestimmter Branchen per Rechtsverordnung des BMF Erleichterungen vorzusehen.
     
    Ein Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge gemäß § 19 MiLoG ist nur noch möglich, wenn eine Ordnungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen die Mindestlohnregelungen rechtswirksam festgestellt wird. Die ursprüngliche – vom Handwerk kritisierte - Regelung in § 19 MiLoG, wonach schon der konkrete Verdacht einer "schwerwiegenden Verfehlung" gegen den gesetzlichen Mindestlohn zum Ausschluss von Auftragsvergaben geführt hätte, ist zu Recht gestrichen worden.
     
    Für die Kontrolle der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohnes soll die  Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) mit zusätzlichen 1.600 Stellen ausgestattet werden.
     
    Das Handwerk kritisiert seit langem die unzureichende personelle Ausstattung der FKS. So begrüßenswert die jetzt angekündigte Aufstockung des Stellensolls sein mag, so ist dennoch zweifelhaft, ob sie für eine effektive Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohnes ausreichend ist. Jedenfalls darf es nicht zu einer Verwässerung der Kontrollintensität in den Mindestlohnbranchen nach dem AEntG kommen.
II. Änderungen des Tarifvertragsgesetzes

Mit der Neufassung von § 5 TVG soll die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert werden.

  • Dazu wird das bisher in § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG vorgesehene 50-Prozent-Quorum gestrichen und durch das alleinige Abstellen auf das Vorliegen eines "öffentlichen Interesses" für die Allgemeinverbindlicherklärung ersetzt. Dieses öffentliche Interesse soll in der Regel gegeben sein, wenn die Tarifvertragsparteien darlegen, dass
     
    1. der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder
     
    2. die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt.
     
    Angesichts leidvoller Erfahrungen mit aufwändigen und überlangen AVE-Verfahren
    sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene standen für das Handwerk Erleichterungen bei den Nachweispflichten, Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit im Vordergrund. Ob die jetzt beschlossenen Rechtsänderungen in § 5 Abs. 1 und deren Handhabung durch das Bundesarbeitsministerium bzw. die Arbeitsministerien auf Landesebene diesen Anforderungen gerecht wird, muss die Praxis zeigen.
     
  • Nach § 5 Abs. 1 TVG wird ein neuer Absatz 1 a eingefügt, der enumerativ die Gegenstände auflistet, die ein für allgemeinverbindlich zu erklärender Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen und deren Aufgaben zu erfüllen hat.
     
    Das Handwerk hatte sich dafür eingesetzt, dass es sich nicht um eine abschließende Auflistung von Gegenständen handeln darf, die ein Sozialkassentarifvertrag aufzuweisen habe. Diesem Petitum ist der Ausschuss für Arbeit und Soziales mit der Einfügung des Wortes "insbesondere" gefolgt.
     
  • Darüber hinaus wird in § 5 Abs. 4 TVG ein neuer Satz angefügt, wonach "…ein nach Absatz 1a für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag vom Arbeitgeber auch dann einzuhalten ist, wenn er nach § 3 an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist".
     
    Diese Regelung hat insbesondere bei den Ausbauhandwerken zu der Befürchtung geführt, dass der Wortlaut eine allgemeine gesetzliche Vorrangregelung statuiert, die auch die bislang praktizierten tarifvertraglichen Abgrenzungskriterien zwischen dem Bauhauptgewerbe und den Ausbaugewerken, niedergelegt in der Großen Einschränkungsklausel, zukünftig tangieren könnte.
     
    Nach vorheriger Abstimmung mit Vertretern der Ausbaugewerke und des Bauhauptgewerbes wurde in Gesprächen mit der Hausleitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und Vertretern des Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales erreicht, dass diese die Auffassung des Handwerks teilen, wonach die Regelung in § 5 Abs. 4 TVG nicht das Verfahren und die Inhalte der Großen Einschränkungsklausel betrifft. Die Regelung wurde vielmehr vorsorglich für Fragen der Tarifeinheit geschaffen. Die schriftliche Fixierung einer entsprechenden Klarstellung wurde dem Handwerk gegenüber signalisiert.
III. Änderungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
  • Durch die Einfügung von § 7a AEntG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, auf gemeinsamen Antrag der Parteien, Tarifverträge über Mindestlöhne und Mindestarbeitsbedingungen durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich zu erklären. Damit können weitere Branchen von den Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes profitieren, ohne dass es einer aufwändigen Gesetzesänderung zur Aufnahme der beantragenden Branche in den Branchenkatalog nach § 4 AEntG bedarf.
     
  • Des Weiteren erfolgt eine vom Handwerk seit langem geforderte Klarstellung von § 8 Abs. 3 AEntG. Der Gesetzgeber stellt damit klar, dass die vom verliehenen Zeitarbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit entscheidend ist für die Frage, welcher branchenspezifische Mindestlohn gelten soll. Damit kann endlich der missbräuchliche Einsatz von Zeitarbeit zur Umgehung der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz allgemeinverbindlichen Arbeitsbedingungen, etwa im Gebäudereiniger- oder Malerhandwerk, verhindert werden.
IV. Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes
  • Nach bisheriger Rechtslage fiel die Zuständigkeit für die gerichtliche Überprüfung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Handwerk hatte sich seit langem dafür eingesetzt, dass diese Zuständigkeit auf die sachnähere Arbeitsgerichtsbarkeit übertragen wird. Mit einer entsprechenden Änderung von § 2a Abs. 1 ArbGG wird dieser Forderung Rechnung getragen.
V. Mindestarbeitsbedingungengesetz
  • Mit Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes zum 1. Januar 2015 tritt das "Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen", das in seiner gut 60-jährigen Existenz faktisch nicht zur Anwendung gelangt ist, außer Kraft.
VI. Tarifeinheit
  • Das Tarifautonomiestärkungsgesetz enthält keine allgemeinen Regelungen zur Tarifeinheit. Nach langwierigen verfassungsrechtlichen Vorprüfungen plant die Bundesregierung, hierzu in Kürze ein separates Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu bringen.
VII. Weitere Rechtsänderungen
  • Weitere Rechtsänderungen durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz können der Bundestagsdrucksache 18/2010 vom 2. Juli 2014, der die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales enthält, die in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs vom Deutschen Bundestag angenommen wurden, entnommen werden. Zusätzliche Informationen zum Gesetzgebungsverfahren gibt es unter www.bundestag.de.