Frage 7: Welche Prämissen wollen Sie bei der Stadtentwicklung legen? Wie sieht das Verkehrskonzept Leipzig 2020 aus?
Burkhard Jung (SPD):
"Eine wachsende Stadt stellt uns vor neue Herausforderungen, was das Wohnen, die Mobilität, das Zusammenleben und unsere Versorgungsstruktur angeht. Gleichzeitig müssen wir auf die tatsächlichen Grenzen des Wachstums reagieren. Mit unserem integrierten Stadtentwicklungskonzept SEKO hat die Stadt Leipzig seit 2009 einen Orientierungsrahmen für die Entwicklung der Stadt, der mit dem Fokus auf die gesamtstädtische Entwicklung Handlungsfelder verdichtet und beschreibt.
Die Leipziger Stadtteile entwickeln sich unterschiedlich. Aber: Leipzig teilt sich nicht auf in Sieger und Verlierer der Modernisierung. Dies ist das Ergebnis einer klugen Stadtentwicklungspolitik, die soziale Unausgewogenheiten berücksichtigt. Trotz rückläufiger Fördermittel für Stadtentwicklungsmaßnahmen haben wir sorgsam agiert und werden es weiter tun.
Wir werden auch weiterhin die Stadtteile fördern, die unserer Unterstützung besonders bedürfen. Wir werden das Integrierte Stadtentwicklungskonzept kontinuierlich validieren und weiterentwickeln, um das gesamtstädtische Wachstum Leipzigs auch künftig in verträglichen und nachhaltigen Strukturen mit einer kompakten Innenstadt und lebendigen Stadtteilzentren zu ermöglichen. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen die Magistralen in unserer Stadt. Sie durchziehen Leipzig sternförmig und sind die Lebensadern der Stadt. Wir werden sie gemeinsam mit den Anwohnern und Gewerbetreibenden zu Zentren urbanen Lebens weiterentwickeln und vitalisieren.
Wir werden schon jetzt wieder über sozialen Wohnungsbau nachdenken müssen. Bleibt das Tempo unseres Bevölkerungswachstums bestehen – und alle Indikatoren deuten darauf hin – brauchen wir zusätzlichen Wohnraum insbesondere in niedrigeren Mietpreisniveaus. Hier wartet unter anderem auf unsere LWB eine große Aufgabe. Beim Freistaat Sachsen werden wir schon jetzt ein Programm zum Sozialen Wohnungsbau einfordern.
Leipzig ist eine nachhaltige Stadt. Wir wollen gemeinsam mit unseren Stadtwerken unseren Energieverbrauch in den nächsten Jahren deutlich senken und ihn weitgehend aus erneuerbaren Energien bestreiten.
Wir werden das Areal hinter dem Bayrischen Bahnhof in den nächsten zehn Jahren zu einem lebendigen innerstädtischen Quartier entwickeln, das Freiraum und Erholung, Städtebau und Quartiersentwicklung, Verkehr und Radschnellweg sowie Bildung, Kultur und Kreatives in Einklang bringt. Am Lindenauer Hafen wird ein Zukunftsprojekt Wirklichkeit: Innerstädtisch wird ein neues Areal zum Leben, Erholen und Arbeiten entstehen, das die Stadtteile Lindenau und Grünau verbindet und eine Lücke schließt.
Leipzig hat beste Voraussetzungen dafür, dass sich motorbetriebener Personenverkehr, Nutzverkehr, öffentlicher Nahverkehr, Fortbewegung zu Fuß und der Radverkehr – öffentlicher Verkehr und Individualverkehr – ausgewogen nebeneinander entwickeln. Ziel der Leipziger Verkehrspolitik ist es, mit langfristigen Verkehrskonzepten nachhaltig Mobilität und Wirtschaftsverkehr in der Stadt Leipzig – perspektivisch unabhängig von fossilen Energieträgern – zu gestalten. Zahlreiche Maßnahmen greifen hier in der Verkehrsplanung ineinander, um einen ausgewogenen Verkehrsmittelmix zu erreichen.
Die geografischen Bedingungen in Leipzig eigenen sich hervorragend, um den Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen perspektivisch noch deutlich zu steigern. Mit dem Radverkehrsentwicklungsplan 2010 bis 2020 wird die Stadt Leipzig ein wesentliches Steuerungsinstrument erhalten, den es auszugestalten gilt, und schon bis 2020 wollen wir es schaffen, dass rund 20 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.
Wir werden die Erneuerung des Fuhrparks der Leipziger Verkehrsbetriebe Schritt für Schritt weiter vornehmen. Leipzig hat beste Voraussetzungen, zu einem Vorreiter der Elektromobilität zu werden. Gemeinsam mit unseren kommunalen Unternehmen und der Industrie werden wir am Aufbau der Infrastruktur für die Nutzung von Elektromobilität arbeiten. Leipzigs natürliches und neu entstandenes natürliches Umfeld ist zu einer touristisch interessanten Destination gereift. Gemeinsam mit den Landkreisen werden wir die Region Leipzig und das Neuseenland unter einem Dach vermarkten und stärken."
Horst Wawrzynski (für CDU):
"Auch bei der Stadtentwicklung gilt für mich an erster Stelle: Möglich machen statt verhindern und blockieren. Insbesondere das Stadtplanungsdezernat darf nicht länger der Flaschenhals für Bauvorhaben sein, sondern muss Freiräume für wichtige Investitionen schaffen, von denen wiederum das heimische Gewerbe profitieren muss. Bei städtischen Baumaßnahmen muss der Schwerpunkt auf Infrastrukturinvestitionen liegen. Neben Bildungsinfrastruktur gehören dazu vor allem Straßen, Schienen, Radwege usw. Bei der Umsetzung dieser Investitionen ist für mich eine strategische Gesamtplanung unerlässlich. Infrastrukturen müssen nahtlos ineinandergreifen und die verschiedenen Verkehrsarten ausgewogen weiterentwickelt werden. Die Wahl der Mobilitätsform ist dem einzelnen zu überlassen. Die zugehörigen Baumaßnahmen müssen auch besser koordiniert ablaufen, um unnötige Behinderungen für Bevölkerung und Wirtschaft zu vermeiden. Chaos bei der Baustellenplanung – wie in diesem Jahr erlebt – muss der Vergangenheit angehören.
Beim Verkehr liegt mein Hauptaugenmerk auf der gleichberechtigten und sicheren Führung aller Verkehrsteilnehmer innerhalb eines Gesamtkonzepts. Dabei sehe ich die Stadt aber nicht in der Aufgabe, die Menschen zu erziehen und ihnen bestimmte Verkehrsmittel aufzuzwingen. Vielmehr muss Wahlfreiheit herrschen, die durch entsprechende Angebote zu unterlegen ist. Durch einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr mit dichten Taktzeiten und guten Radwegen kann der motorisierte Individualverkehr in der Innenstadt reduziert werden. Mittels intelligenterer Verkehrsführung und optimierten Ampelschaltungen – Stichwort Grüne Welle – ist der Verkehrsfluss reibungsloser zu gewährleisten. Bei all dem ist mir wichtig zu betonen, dass eine Großstadt wie Leipzig ohne funktionierenden Wirtschaftsverkehr nicht überlebensfähig ist. Daher lehne ich künstliche Einschränkungen aus umweltideologischen Gründen, das Beispiel Umweltzone ist wohlbekannt, prinzipiell ab.
Nicht zuletzt muss unbedingt auch die Anbindung Leipzigs an den Fernverkehr erhalten und ausgebaut werden. Beim Schienen- und Luftverkehr will ich mich als oberster Lobbyist der Stadt in Dresden und Berlin gegen die Abkopplung Leipzigs von nationalen und internationalen Verbindungen einsetzen. Darüber hinaus gilt es nachhaltig darauf hinzuarbeiten, dass zentrale Infrastrukturprojekte wie die Autobahn 72 endlich vollendet werden."
René Hobusch (FDP):
"Wir müssen uns bei der Stadtentwicklung auf unsere kommunalen Kernaufgaben konzentrieren. Das bedeutet für mich vor allem den Ausbau und die Sanierung von Verkehrswegen, Kitas und Schulen.
In der weiteren Stadtentwicklung ist Augenmaß nötig. Vorschriften für anzupflanzende Gewächse, streng regulierte Fassadenfarben, Gebäudehöhen, Dacharten und -winkel, räumlich begrenzte Nutzungsarten im Einzelhandelsbe reich – all das hemmt die Entwicklung unserer Stadt. Gerade urbane Räume leben von Veränderung, von Kreativität und von Neuem. Leipzig ist kein Museum, sondern eine lebendige, sich stets verändernde Stadt. Dem muss auch die Stadtentwicklungspolitik Rechnung tragen. Einer systematischen Verhinderungsplanung setze ich Einzelfallentscheidungen mit gesundem Menschenverstand entgegen.
Wir brauchen Straßen in vernünftigem Zustand. Das schließt Fuß- und Radwege ein. Jeder Euro, den wir heute in den Erhalt stecken, erspart uns zehn für die Sanierung von Buckelpisten in ein paar Jahren. Ich stehe für einen Verkehrsmix, der sich an den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten orientiert. Ich werde die Bürger nicht zum Radfahrer oder Straßenbahnnutzer umerziehen, sondern will Positivanreize schaffen: Gut ausgebaute und – auch nachts – sichere Wege, Fahrradstellplätze und ein modernes, bedarfsgerechtes ÖPNV-Angebot wirken allemal besser als Autofahrverbote oder Parkschikanen."
Prof. Dr. Felix Ekardt (Bündnis 90/Die Grünen):
"Keine Antwort
Ergänzend verweise ich auf mein ausführliches Wahlprogramm unter www.leipzig-obm.de, da wegen extrem vieler Wahlprüfstein-Anfragen für eine fast ausschließlich ehrenamtlich arbeitende Partei wie Bündnis 90/Die Grünen – die zudem anders als SPD und CDU im Wesentlichen keine Großspenden erhält – eine ausführlichere Beantwortung hier nicht möglich war. Für meine ökologischen Positionen kann man sich ferner noch viel ausführlicher auf meiner Instituts-Homepage www.nachhaltigkeit-gerechtigkeit-klima.de informieren, einschließlich der vielen dortigen Hinweise (und Downloads) zu längeren Texten von mir."
Barbara Höll (Die Linke):
"Nachhaltigkeit ist ein strategisches Ziel einer gesamtstädtischen Politik. Mit mir als Oberbürgermeisterin wird dieses Ziel verbindlich für alle städtischen Planungen und Vorhaben eingeführt werden. Dazu bedarf es einer zentralen Steuerung für Nachhaltigkeit direkt bei der Oberbürgermeisterin. Alle Entscheidungen der Stadt, ob investiv, finanziell, sozial, wirtschaftlich oder klimatechnisch, sind unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit – Ausgewogenheit zwischen den ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen – zu betrachten. Im Projekt "Leipzig weiter denken" sind Handlungsziele der Kommunalpolitik diskutiert und festgeschrieben worden. Solche Denkwerkstätten sind hilfreich, ihre Ergebnisse sollten aber konsequenter umgesetzt werden. Insbesondere werde ich als linke Oberbürgermeisterin darauf achten, dass soziale Belange stärker berücksichtigt werden. Öffentliche Baumaßnahmen werden mit mir als Oberbürgermeisterin ressourcenschonend realisiert und orientieren sich am Niedrigenergiestandard. Konzepte dezentraler Energieversorgung sowie Gebäude als Energieproduzenten sollten in Leipzig in die Praxis umgesetzt werden. Selbstredend muss die Wirtschaft hier als Dialogpartner einbezogen werden. Die Bereitstellung von Gewerbeflächen ist zweifelsfrei notwendig. Aber auch sie sollten stets nachhaltig und ressourcenschonend realisiert werden.
Städtischer Verkehr belastet einerseits, ist andererseits jedoch unabdinglich für die städtische Infrastruktur. Zugleich sind wir alle Verkehrsteilnehmer, ob zu Fuß, per Fahrrad, Bahn oder Auto. Die Neugestaltung der verschiedenen Verkehrsformen folgt einem ambitionierten Ziel. Leider verliert sich die Umsetzung der Pläne immer wieder in der Beliebigkeit, von Vorrangigkeit kann keine Rede sein. Mit mir als Oberbürgermeisterin wird es eine klare Prioritätensetzung zur Entwicklung der städtischen Infrastruktur geben. Eine Stadt im 21. Jahrhundert kann man nicht mehr einseitig vom Auto her entwickeln, sondern von den Bedürfnissen der Menschen und der Nutzung des öffentlichen Raumes für alle.
Eine Entlastung des motorisierten Individualverkehrs erreichen wir nur mit einer Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Er muss leistungsfähig und komfortabel sein und das zu Preisen, die bezahlbar sind. Davon sind wir inzwischen leider weit entfernt. Als Oberbürgermeisterin wäre ich bestrebt, alternative Finanzierungsmodelle für den ÖPNV zu entwickeln. Das schließt ein, dass den Leipziger Verkehrsbetrieben ausreichend investive Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den notwendigen Um- und Ausbau des Netzes zu gewährleisten. Kostensteigerungen dürfen in Zukunft allerdings nicht mehr einseitig durch Preiserhöhungen der Fahrscheine kompensiert werden. Die preiswerte LeipzigPassMobilCard bleibt erhalten, so lange sie notwendig ist.
Dennoch will ich das Auto nicht von der Straße verbannen. Es wird weiter Menschen geben, die zwingend auf den motorisierten Individualverkehr angewiesen sind. Dieser sollte aber im Interesse aller Verkehrsteilnehmer geregelt werden. Das heißt: Umsetzung des zukünftigen Lärmaktionsplanes, mehr Tempo-30-Zonen, ganztägiges Durchfahrtsverbot für Lkw-Mautflüchtlinge, Einsatz von lärmoptimiertem Asphalt. Straßensanierungen sind schon Sicherheitsaspekten für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer eine ständige Aufgabe der Stadt."
Dirk Feiertag (parteilos):
"Die Stadtentwicklung muss sich auf die Unterstützung und Stabilisierung bestehender positiver Entwicklungen, wie sie sich zum Beispiel im Leipziger Westen abzeichnen, konzentrieren und teure Prestigeprojekte (Lindenauer Hafen) nachrangig behandeln. Eine organische Entwicklung führt zu nachhaltigeren Ergebnissen als die Schaffung von Investitionsruinen.
Bezüglich des Verkehrskonzeptes ist mein Ziel die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs mit Schwerpunkt auf einem fahrscheinlosen Modell. Dieses bietet für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung viele Vorteile (mehr Lebensqualität, Attraktivitätssteigerung der Innenstadt, weniger Staus, geringerer Straßenverschleiß, Zuwachs an Touristen).
Darüber hinaus ist die Verzahnung der Verkehrsträger wichtig. Planungen für Infrastrukturprojekte werden in jedem Fall transparenter und unter frühzeitiger Einbeziehung aller Beteiligten durchgeführt, wobei ausdrücklich die Entwicklung innovativer und auch unkonventioneller Lösungen gefördert wird. Dabei ist es wichtig, die Stadtentwicklung integriert zu denken und bei Ansiedlungen Pros und Contras auf allen Ebenen zu diskutieren. Eine hohe Lebensqualität und die Zufriedenheit aller Beteiligten sind vorrangig zu behandeln. Das oberste Ziel der Stadt- und Verkehrsplanung muss die Verkehrsvermeidung sein. Dann erst kann man sich Gedanken über die Erschließung mit den Verkehrsmitteln machen. Hierbei ist der Schwerpunkt auf die kostengünstigen und umweltfreundlichen Verkehrsarten zu legen, und zwar in der Reihenfolge: Fußverkehr, Radverkehr, ÖPNV und Kfz-Verkehr.
In der Praxis heißt das dann beispielsweise: Grundschulen, Hauptschulen und Kindergärten müssen im direkten Wohnumfeld der Kinder errichtet werden. Gymnasien wiederum funktionieren durch die Spezialisierung anders und müssen daher zwingend dort errichtet werden, wo in maximal 300 Meter Abstand mindestens eine Straßenbahnlinie hält. Allein wenn man durch einen klugen ÖPNV "Elterntaxis" vermeiden könnte, ergäben sich schon erste positive Effekte für den Wirtschaftsverkehr, bei gleichzeitiger Entlastung der Eltern und Kinder. Aber auch im Bereich der Nahversorgung lassen sich beispielsweise durch den Leipziger Laden positive Effekte bei der Verkehrsvermeidung erzielen. Viele kleine Läden (maximal 200 Quadratmeter Verkaufsfläche) sorgen für eine dichte Grundversorgung mit Lebensmitteln und ermöglichen vielen Menschen das Einkaufen zu Fuß oder mit dem Rad.
Dann sollten wir in die Auflagen bei gewerblichen Neubauten die Bereitstellung von mindestens zwei ebenerdigen CarSharing-Stellplätzen aufnehmen. Hierdurch kann das CarSharing gezielt gefördert werden. Mit jedem CarSharing-Auto werden in Leipzig acht Privat-Pkw vermieden und gleichzeitig der Rad- und Fußverkehr sowie der ÖPNV gefördert. Immerhin sind 50 Prozent der privaten Autofahrten kürzer als fünf Kilometer. Wer kein privates Auto hat, nutzt daher vermehrt das Rad, den ÖPNV oder geht zu Fuß. Auch das hätte wiederum positive Effekte für den Wirtschaftsverkehr. Ideen gibt es also genug. Im Rathaus fehlt bisher nur der Mut, den Leipziger Verkehr auch zukunftsfähig zu gestalten."