
Archivbeitrag | Newsletter 2021Fachpraktiker - Berufsausbildung für Menschen mit Behinderung
Wer eine Lernschwäche hat, dem fällt oft der theoretische Teil einer Berufsausbildung schwer. Trotzdem haben Menschen mit einer solchen Beeinträchtigung oft das Zeug, zu wertvollen Fachkräften zu werden. Seit einigen Jahren gibt es deshalb die Möglichkeit, eine theoriereduzierte Ausbildung zum Fachpraktiker zu absolvieren. Für die ausbildenden Betriebe gibt es dabei viel Unterstützung. Allerdings braucht ein Betrieb für die Ausbildung Lernbenachteiligter eine sogenannte rehabilitationspädagogische Zusatzqualifizierung. Ein Praxisbeispiel.
Maximilian, ein junger Mann aus dem Landkreis Leipzig, hat über eine Fachpraktikerausbildung ins Handwerk gefunden. Er wollte unbedingt Fleischer werden und zwar in einem anerkannten Fachbetrieb. Zum Schuljahresende 2021 bewarb er sich deshalb bei der Fleischerei Simon in Brandis, östlich von Leipzig, um eine Berufsausbildung. Inhaberin Patrizia Thomas bot dem jungen Mann zunächst ein Praktikum an. Man wollte sich natürlich erst einmal beschnuppern. Im Team fühlte sich Maximilian sofort wohl und auch die Arbeit machte ihm Spaß. Die Chemie zwischen Chefin, Kollegen und dem Berufsanfänger stimmte. Offenbar ein echter Glückstreffer für die Unternehmerin, die in einem Gewerk arbeitet, das seit Jahren von Fachkräfte- und Nachwuchssorgen geplagt wird.
Eine Herausforderung im positiven Sinn
Aber Maximilian war ein Schulabgänger, dem die Agentur für Arbeit bescheinigte, dass nach Art und Schwere seiner Behinderung eine Ausbildung nach §42r Handwerksordnung angezeigt ist. Bevor der motivierte Nachwuchshandwerker beruflich qualifiziert werden konnte, ergaben sich dadurch für Fleischermeisterin Patrizia Thomas einige Unklarheiten bezüglich Berufausbildung und Lehrvertrag.
Gespräche mit der Ausbildungsberatung der Handwerkskammer und mit dem Team von ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. (www.arbeitundleben.eu) klärten die Besonderheiten einer Ausbildung im Beruf Fachpraktiker für Fleischer. Dieser ist an die klassische Fleischerausbildung angelehnt. Allerdings wird stärker aufs Praktische fokussiert und die Theorie nimmt deutlich weniger Raum ein. Oft gibt es deshalb gesonderte Klassen in den Berufsschulen. Ansonsten ist vieles identisch und am Ende der Lehre steht ebenfalls die Abschlussprüfung. Mitunter brauchen die Fachpraktiker im Betrieb jedoch etwas individuellere Betreuung als andere Azubis. Eine Herausforderung also. Aber eine im positiven Sinne. Der wollten sich Unternehmerin und Schulabgänger jedoch stellen.
Ausbildungspersonal braucht Zusatzqualifikation
Um die richtigen Rahmenbedingungen für eine Betreuung bis zum Berufsabschluss abzusichern, ist jedoch auf Unternehmensseite eine rehabilitationspädagogische Zusatzqualifizierung (ReZA) erforderlich. Ausbildungsverantwortliche müssen schließlich wissen, wie man auf Lernschwierigkeiten eingeht und werden deshalb mit Zusatzfähigkeiten in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Didaktik ausgestattet.
Patrizia Thomas fehlte der erforderliche ReZA-Nachweis jedoch. Also wurde die Kooperation mit einer geeigneten Ausbildungseinrichtung gesucht und mit dem regional agierenden Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V. gefunden.
Kosten für Assistenzservices können übernommen werden
Da die Fleischerei Simon als Ausbildungsbetrieb fungieren wollte und keine kooperative Ausbildung geplant war, wurde ein Antrag auf Ausbildungszuschuss bei der Agentur für Arbeit gestellt, der die Kosten der ReZA-Begleitung übernimmt. Nun besucht Maximilian für den Berufsschulunterricht die Robert-Blum-Schule (Berufliches Schulzentrum in Leipzig mit sonderpädagogischem Profil) und dazu das Berufliche Schulzentrum Dr. Hermann Schulze-Delitzsch für die Fachausbildung. Parallel erfolgt die praktische Ausbildung in der Fleischerei und die ReZA-Begleitung durch das Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V. direkt vor Ort in der Fleischerei.
Damit wurde Maximilian ein großer Schritt auf dem Weg ins selbstbestimmte Leben ermöglicht und ein kleiner Beitrag zur Fachkräftegewinnung für das Handwerk erbracht.
Ausbildungsmöglichkeiten in Fachpraktiker-Berufen im Handwerk
Grundsätzlich sind für Jugendliche und Erwachsene, für die aufgrund einer Lernbeeinträchtigung keine reguläre Berufsausbildung infrage kommt, Ausbildungsberufe nach besonderen Regelungen geschaffen worden. Im Handwerk wird bei Vorliegen der Lernbeeinträchtigungen nach §66 Berufsbildungsgesetz (BBiG) und §42r Handwerksordnung in "Fachpraktikerberufen" und in "gestreckten Berufen" ausgebildet.
Die Handwerkskammern erlassen nach Vorliegen von tatsächlichen betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten auf Antrag der Beteiligten (Auszubildender und Ausbildender) die besonderen Ausbildungsregelungen. Die Handwerkskammer zu Leipzig hat bisher folgende Regelungen erlassen:
- Ausbaufacharbeiter/in | gestreckt
- Hochbaufacharbeiter/in | gestreckt
- Tiefbaufacharbeiter/in | gestreckt
- Fachpraktiker/in für Holzverarbeitung
- Fachpraktiker/in für Metallbau
- Fachpraktiker/in für Zerspanungsmechanik
- Fachpraktiker/in im Damenschneiderhandwerk
- Fachpraktiker/in für Fleischer
- Fachpraktiker/in für Bäcker
- Fachpraktiker/in für Fahrzeuglackierung
- Fachpraktiker/in für Medientechnologie Druck
- Fachpraktiker/in für Gebäudereinigung
- Fachpraktiker/in für Maler und Lackierer
Die "Fachpraktikerausbildung" orientiert sich an den Grundsätzen der "Dualen Berufsausbildung" und den Berufsbildern der allgemeingültigen Berufsausbildung. Somit ist auch für die entsprechenden Berufe eine Sicherstellung des Berufsschulunterrichts erforderlich. Wie bei der regulären Berufsausbildung werden zwischen den Auszubildenden und den ausbildenden Unternehmen Berufsausbildungsverträge abgeschlossen und in die Lehrlingsrolle eingetragen.
Kammer bietet Zusatzqualifikation
Für die Ausbildung von Fachpraktikerberufen ist zusätzlich zu der herkömmlichen Ausbildereignung eine "Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation (ReZA)" notwendig. Diese Zusatzqualifikation kann durch eine Weiterbildung bei der Handwerkskammer erworben werden oder kann, wenn die Qualität der Ausbildung auf andere Weise sichergestellt ist, anerkannt werden. Die Qualität ist in der Regel dann sichergestellt, wenn eine Unterstützung durch eine geeignete Ausbildungseinrichtung erfolgt.
Zuschuss zur Ausbildungsvergütung
Für Auszubildende mit Behinderungen können Arbeitgeber außerdem einen Zuschuss zur Ausbildungsvergütung erhalten. Die Agentur für Arbeit kann je nach Einzelfall bis zu 100 Prozent des Entgelts übernehmen. Damit kann sich das Engagement in diesem Bereich auch finanziell rechnen.
Nachteilsausgleich
Neben den vielseitigen finanziellen Förderleistungen ist auch der Nachteilsausgleich zur Zwischen- und Abschlussprüfung eine mögliche Unterstützungsleistung für einen erfolgreichen Berufsabschluss. Hierzu gehören zum Beispiel Prüfungszeitverlängerungen, separate Räume oder die Inanspruchnahme von Hilfsmitteln und/oder Assistenzen. Die Beantragung des Nachteilsausgleich muss immer mit der Anmeldung zur Prüfung bei der zuständigen Kammer erfolgen und unterliegt der Einzelfallprüfung auf der Grundlage eines aktuellen ärztlichen Gutachtens.
Unternehmen können sich für weitere Informationen an die Ausbildungsberatung der Handwerkskammer wenden, Ansprechpartnerinnen sind Kerstin Klage und Sylvia Bathke.
Übrigens kann es mitunter auch eine Option sein, einen Azubi in eine Fachpraktikerausbildung wechseln zu lassen, wenn sich abzeichnet, dass die Berufsausbildung an den schulischen Leistungen zu scheitern droht.