Archivbeitrag | Newsletter 2023Beim Thema Wirtschaftsverkehr ist einiges falsch gelaufen

Die Umgestaltung Leipzigs muss alle Beteiligten anhören und einbinden. Die hiesige Wirtschaft hat das Recht, gehört zu werden. Die Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer sowie der IHK äußern sich zu den Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden beim Thema Wirtschaftsverkehr.

Leipzig, Karte, Stadtplan, Anfahrt. Bild: ink drop / stock.adobe.com
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Klare Bekenntnisse und ein verbindlicher Zeitplan notwendig

Die Umgestaltung der Stadt Leipzig muss alle Beteiligten anhören und einbinden. Geschieht dies nicht, entstehen Verwerfungen und Gegenreaktionen. Gerade die hiesige Wirtschaft, die mit ihrem Steueraufkommen, ihrem Engagement und den von ihr gestellten Arbeitsplätzen den gesellschaftlichen Zusammenhalt garantiert, hat das Recht, gehört zu werden. In Leipzig ist beim Thema Wirtschaftsverkehr einiges falsch gelaufen.

Die Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Leipzig, Volker Lux, sowie der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig (IHK), Dr. Fabian Magerl, äußern sich zu den Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden beim Thema Wirtschaftsverkehr.


Wie sehen Sie die Umsetzung der Priorisierung des Wirtschaftsverkehrs, die im Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum (STEP) der Stadt Leipzig von 2015 festgeschrieben wurde?

Dr. Magerl: Seit 2015 gab es de facto leider keine Fortschritte. Und dabei hatte die IHK zu Leipzig – im unmittelbaren Gefolge des STEP – zur Unterstreichung der Rolle des Wirtschaftsverkehrs 2017 eine umfangreiche Studie in Auftrag gegeben, in der klar aufgezeigt wurde, welche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur notwendig sind, um dem Bevölkerungswachstum in der Stadt Leipzig und dem steigenden Pendlerverkehr gerecht werden zu können.

Dr. Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig
Paul Kuchel
Dr. Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig

Lux: "Der Wirtschaftsverkehr hat gegenüber dem motorisierten Individualverkehr Priorität. Aufgabe der Verkehrspolitik ist es, dafür infrastrukturell und verkehrsorganisatorisch funktionsfähige Rahmenbedingungen zu sichern …", so heißt es dort konkret. Der STEP wurde vom Stadtrat, der demokratisch legitimierten Instanz im politischen Handeln, bestätigt. Leider haben wir nicht den Eindruck, dass man sich in der Stadtverwaltung dessen bewusst ist.


Welches sind die Kritikpunkte der Kammern?

Lux: Die Kammern haben sich im August 2017 mit ihrer Initiative "Mobilität 700+" konstruktiv in den Prozess des STEP eingebracht. Unsere Vorschläge wurden vom Dezernat für Stadtentwicklung im Januar 2018 entgegengenommen. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine klare schriftliche Vereinbarung, welche unserer Vorschläge geprüft und umgesetzt werden. Im Februar 2023, als das Dezernat den Gesprächsfaden mit uns endlich wieder aufnahm, mussten wir feststellen, dass in den dazwischenliegenden fünf Jahren keine der vereinbarten Machbarkeitsstudien abgeschlossen worden war.

Volker Lux, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Leipzig
Anika Dollmeyer
Volker Lux, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Leipzig

Die Mehrzahl wurde bislang nicht einmal begonnen. Nicht einmal bei den Zielen, die sich die Stadt – beispielsweise für den Ausbau des ÖPNV – selbst gesetzt hat, liegt sie auch nur annähernd im Zeitplan.


Es gibt einen Runden Tisch Wirtschaftsverkehr. Erfüllen sich die Hoffnungen, die sich daran knüpften?

Lux: Ja, sicher haben wir noch Hoffnung. Umso ärgerlicher war es, dass das Dezernat für Stadtentwicklung in der Beratung Anfang Februar kein Wort zu den Fahrspureinziehungen am Hauptbahnhof verloren hat. Hier wurden wir wieder kalt erwischt. Aber eines kann man daraus lernen: Wenn die Verwaltung schnell sein will, dann kann sie das auch. Leider nie in unserem Sinne.

Dr. Magerl: Es wurde höchste Zeit, dass der von uns seit Jahren geforderte "Runde Tisch Wirtschaftsverkehr" nunmehr eingerichtet ist und es seit Kurzem beim Verkehrs- und Tiefbauamt eine Ansprechpartnerin für alle Fragen des Wirtschaftsverkehrs gibt, die ihre Arbeit aufgenommen hat. Das ermöglicht uns, die Belange der Wirtschaft im direkten und regelmäßigen Gespräch mit den zuständigen Ämtern und Behörden der Stadt Leipzig einzubringen, uns kritisch und frühzeitig mit Vorhaben der Verwaltung auseinanderzusetzen sowie konkrete Projekte, die für den Wirtschaftsverkehr notwendig sind, auf den Weg zu bringen und mitzugestalten. Erstes konkretes Beispiel hierfür ist die Einrichtung von rechtssicheren und klar ausgewiesenen Lade-/Lieferzonen im Stadtgebiet. Unsere Mitgliedsbetriebe konnten dafür konkrete Standorte vorschlagen. Dort werden die Zonen nun schrittweise eingerichtet.


Welche Widerstände konnten aus dem Geschehen herausanalysiert werden?

Dr. Magerl: Hinderlich ist primär, dass der Fokus in der kommunalen Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren zu einseitig auf den Radverkehr gerichtet wurde und die anderen Verkehrsträger entsprechend vernachlässigt worden sind. Für eine zukunftsfähige kommunale Verkehrsinfrastruktur braucht es eine verkehrsträgerübergreifende, integrierte Sichtweise.

Lux: Ich sehe das so: Die Stadtverwaltung interpretiert und priorisiert Stadtratsbeschlüsse sehr selbstbewusst. Die Priorisierung des Wirtschaftsverkehrs aus dem STEP spielt in der Umsetzung faktisch keine Rolle.


Welche Vorschläge zur Berücksichtigung der Belange der Wirtschaft haben die Kammern?

Lux: Wir fordern einen Masterplan Verkehr für alle Verkehrsarten. Kein Stückwerk, keine Einzelfallmaßnahmen – die Stadt braucht einen Plan. Den hat sie nicht.

Dr. Magerl: Keine Frage, ein solcher Plan ist die Grundvoraussetzung. Aber von Planen allein verbessert sich die Lage noch lange nicht. Entscheidend ist die Umsetzung der darin enthaltenen Maßnahmen. Dazu bedarf es eines klaren Bekenntnisses im Hinblick auf die Sicherstellung der Finanzierung und eines straffen, verbindlichen Zeitplans. Gemeinsam mit der Wirtschaft müssen notwendige Verkehrsprojekte identifiziert werden, die sodann auch verbindlich zu realisieren sind. Dass hier in Leipzig Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinanderklaffen, zeigt sich aktuell in der Verschiebung der Ertüchtigung der ÖPNV-Infrastruktur um viele Jahre.


Die Stadt setzt bei der Gestaltung der Infrastruktur auf den ÖPNV. Was ist daran falsch?

Lux: Es ist doch klar erkennbar, dass die Stadt gar nicht die finanziellen Mittel hat, um den ÖPNV als zentralen Verkehrsträger wirklich attraktiv zu machen. Das wäre aber der Schlüssel für alle anderen Bemühungen um nachhaltige Fortbewegung. Da dieser Schlüssel aber fehlt, bleibt alles andere Stückwerk. Breitere Straßenbahnen, einspurige Trassen in der Prager und Berliner Straße, Tempo-30-Modell – alles Stückwerk, weil der Schlüssel fehlt. Oder eben das Eingeständnis, dass man den ÖPNV nicht wie gewünscht aufs Gleis bekommt.

Dr. Magerl: Abgesehen von der Finanzierungsfrage ist eine ideologiebefreite Sicht der Dinge durch die beteiligten Akteure zweifelsohne hilfreich, um bestehende Verwerfungen im Sinne der Sache zu beseitigen.