Weite Wege zu Berufsschulen beeinflussen die Berufswahl

Die IHK- und die Handwerksorganisation haben eine Befragung zur Situation an den Berufsschulstandorten im Sachsen durchgeführt. Fazit: lange Schulwege sind die Realität für Berufsschüler. Die Wirtschaftsvertretungen im Freistaat fordern deshalb mehr Priorität für die Schaffung ausbildungsfreundlicher Rahmenbedingungen. 

Leere Bushaltestelle auf dem Land. Bild: serjiob74 / stock.adobe.com
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Umfrage der sächsischen IHKn sowie Handwerkskammern rückt Berufsschulsituation in den Fokus

Mehr als ein Viertel aller Auszubildenden im Freistaat Sachsen ist mehr als 90 Minuten zur Berufsschule unterwegs. Für ein Drittel ist der Weg vom Wohnort zur Berufsschule länger als 50 Kilometer. Deshalb ist rund ein Drittel der Auszubildenden auf eine Unterkunft an den Berufsschulstandorten angewiesen. Doch in diesem Bereich gibt es noch Nachholbedarf.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Sonderumfrage, die die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie die sächsischen Handwerkskammern zur Situation an den Berufsschulstandorten im Freistaat durchgeführt haben. Demnach sind lange Schulwege die Realität für die Berufsschüler.
 

Lange Schulwege und fehlende Unterkünfte haben Auswirkungen auf die Berufswahl

Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass Azubis in Sachsen oftmals weite Wege zur Berufsschule auf sich nehmen müssen. Zwar wären sicherlich entsprechende Unterkünfte direkt an Berufsschulstandort oder eine gut getaktete ÖPNV-Anbindung eine Alternative. Doch das ist gerade in den ländlichen Regionen Sachsens nicht der Fall, sagt Frank Wagner, Präsident der Handwerkskammer Chemnitz. "Doch nicht nur für die Auszubildenden ist das eine schwierige Situation. Auch die Betriebe geben an, dass lange Schulwege und fehlende Unterkünfte am Berufsschulstandort Auswirkungen auf die Berufswahl haben. Jugendliche informieren sich heute vorab genau über die Rahmenbedingungen, bevor sie einen Lehrvertrag unterschreiben. Wenn diese nicht stimmen, führt das im schlimmsten Fall dazu, dass man sich einen anderen Ausbildungsplatz außerhalb des Handwerks sucht. Den Mangel an Fach- und Arbeitskräften im regionalen Handwerk wird man so nicht beheben können."

Defizite für die duale Ausbildung beseitigen!

"Umso wichtiger ist es, dass an den Berufsschulstandorten ausreichend gut ausgestatte und von Mitarbeitern betreute Unterkünfte für die Auszubildenden vorhanden sind. Die gemachten Zusagen im Zusammenhang mit der Einführung des Berufsschulnetzplanes müssen eingehalten werden", betont Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig. "Erste Investitionen der Schulträger in die Schulinfrastruktur an den BSZ-Standorten weisen in die richtige Richtung. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen aber auch, dass es noch erhebliche Defizite gibt und die Rahmenbedingungen für die duale Ausbildung verbessert werden müssen. Im schlimmsten Fall gefährdet die Situation der Auszubildenden und Betriebe den erfolgreichen Berufsabschluss und verschärft damit den Fachkräftemangel nachhaltig. Hier sollten die Schulträger zeitnah aktiv entgegenwirken."

Gemeinsam appellieren die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern eine zügige Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vorzunehmen, und zwar noch vor der geplanten Evaluation im Jahr 2025. Die Schaffung ausbildungsfreundlicher Rahmenbedingungen muss vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels Priorität haben. Qualität der Lehre, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, lange Schulwege, mangelnde Unterkünfte beziehungsweise schlechte Unterkünfte, steigende Kosten der Ausbildung sind Themen, die dringend angegangen werden müssen und vor allem zeitnahe, praktikable und unbürokratische Lösungen erfordern.
 

  • Ein Drittel der Ausbildungsbetriebe gibt an, dass für ihre Lehrlinge am Standort der Berufsschule Unterkünfte notwendig sind. Je weiter entfernt die Berufsschule ist, umso größer ist die Notwendigkeit für eine Unterbringungsmöglichkeit vor Ort.
  • 38 Prozent der Auszubildenden müssen auf Unterkünfte außerhalb der Wohnheime und Internate ausweichen.
  • Zwei Drittel der Auszubildenden legen ihren Schulweg mit Bus oder Bahn zurück, ein Viertel mit dem eigenen Auto oder Moped.
  • Ein Fünftel der befragten Ausbildungsbetriebe geben an, dass aufgrund der Entfernung zum Berufsschulstandort der Abschluss von Ausbildungsverträgen bereits nicht zustande gekommen ist.
  • Acht Prozent der Betriebe haben bereits die Erfahrung gemacht, dass eine fehlende Unterkunft ausschlaggebend für das Nichtzustandekommen eines Ausbildungsvertrages war.
  • 40 Prozent der Betriebe berichten, dass ihre Auszubildenden regelmäßig von Unterrichtsausfällen berichten.
  • Die Hälfte der befragten Betriebe beteiligt sich an der Finanzierung der Unterbringung ihrer Auszubildenden. 36 Prozent der Unternehmen tragen die gesamten Kosten.
  • An der Umfrage haben 1.169 Betriebe aus Handwerk, Industrie und Handel in Sachsen teilgenommen.
  • Die 1.169 Betriebe bilden zusammen 3.646 Lehrlinge aus.
  • Die Auszubildenden in den befragten Betrieben repräsentieren rund 150 Berufe inkl. Fachrichtungen und Spezialisierungen.
  • Die meisten Auszubildenden finden sich in Berufen wie Kfz-Mechatroniker, Anlagenmechaniker SHK, Elektroniker, Tischler, Bürokaufmann/-frau, Dachdecker wieder. Diese Berufe zählen zu den beliebtesten Ausbildungsberufen und spiegeln die Struktur der Ausbildungsberufe in Sachsen wider.
  • Bei 33 Prozent der Auszubildenden beträgt der Weg vom Wohnort zum Berufsschulstandorten über 50 km. Bei weiteren 16 Prozent beträgt der Schulweg zwischen 30 bis 50 km.
  • 27 Prozent der Auszubildenden benötigen mehr als 1,5 Stunden für den Schulweg in eine Richtung und 23 Prozent benötigen bis zu 1,5 Stunden. Damit hat die Hälfte der Auszubildenden täglich einen enorm langen Schulweg zurückzulegen. Zur Kompensation dieser langen Wegstrecken können nur altersgerechte, angemessene und ausreichende Unterkünfte für die Azubis an den Berufsschulstandorten, so dass eine tägliche Rückfahrt zum Wohnort nicht mehr notwendig ist.
  • Lange Schulwege sind Realität vieler Auszubildender in Sachsen. Auszubildende, die teilweise noch nicht volljährig sind, sind einer hohen Belastung ausgesetzt und tragen bereits eine hohe Verantwortung. Die langen Schulwege führen insgesamt zu einer Benachteiligung dieser Auszubildenden gegenüber Auszubildenden mit kürzeren Wegen oder gegenüber Studierenden hinsichtlich ihrer Lebens- und Lernsituation.
  • Mit 67 Prozent nutzt die Mehrheit der Auszubildenden den ÖPNV für den Schulweg. 26 Prozent legen den Schulweg mit einem eigenen Fahrzeug zurück. 5 Prozent der Auszubildenden organisieren sich in Fahrgemeinschaften. In der Praxis wird ein Mix der Verkehrsmittel genutzt.
    Bei der Nutzung der Verkehrsmittel "ÖPNV" bzw. "eigenes Fahrzeug" bestehen große regionale Unterschiede. Im Kammerbezirk Chemnitz nutzen die Auszubildenden deutlich mehr das eigene Fahrzeug als die Auszubildenden in den Kammerbezirken Dresden und Leipzig. Besonders im Kammerbezirk Leipzig dominiert die Nutzung des ÖPNV
  • Die Ergebnisse zeigen, dass die Auszubildenden auf die Nutzung des ÖPNV angewiesen sind. Vor allem minderjährige Auszubildende sind gezwungen, den ÖPNV zu nutzen. Folglich ist die Sicherstellung der Anbindung aller Berufsschulen an den ÖPNV inkl. entsprechender Taktzeiten sicherzustellen.

Sonderumfrage zur Berufsschulsituation in Sachsen: Fahrzeiten

  • 32 Prozent der Befragten gaben an, dass eine Unterkunft am BSZ-Standort notwendig ist.
  • Die Organisation der Unterkunft haben mit jeweils 40 Prozent überwiegend die Auszubildenden bzw. die Betriebe übernommen. 20 Prozent der Unterkünfte wurden über die BSZ vermittelt.
  • Mit 62 Prozent hat die Mehrheit der Auszubildenden eine Unterkunft in einem Wohnheim/Internat, 18 Prozent in Pension/Hotel, 15 Prozent Sonstiges, 4 Prozent in einer WG, 2 Prozent nutzten angemieteten Wohnraum des Betriebes.
  • 38 Prozent der Auszubildenden müssen also auf andere, nicht geeignete Unterkünfte für junge Menschen ausweichen.
  • Die Betriebe engagieren sich nicht nur bei der Organisation einer Unterkunft. Die Hälfte der befragten Betriebe beteiligen sich an der Finanzierung der Unterbringung ihrer Auszubildenden. 36 Prozent der Betriebe tragen sogar die gesamten Kosten.
  • Nicht allen betroffenen Auszubildenden ist die Fördermöglichkeit einer Unterbringung in Höhe von 16 Euro/Übernachtung im Rahmen der Schülerunterbringungsleistungsverordnung des Freistaates bekannt: Laut den Angaben der Betriebe nutzt mehr als ein Drittel diese Fördermöglichkeit nicht. Demzufolge muss der Bekanntheitsgrad dieses Zuschusses dringend erhöht werden.

Sonderumfrage zur Berufsschulsituation in Sachsen: Unterbringung

  • 36 Prozent der Auszubildenden verfügen über eine Unterkunft direkt am Berufsschulstandort
  • 50 Prozent der Auszubildenden haben einen Schulweg von der Unterkunft bis zur Berufsschule von bis zu einer halben Stunde. 8 Prozent benötigen bis zu einer Stunde.
  • 45 Prozent gelangen zu Fuß von der Unterkunft zur Berufsschule, 37 Prozent nutzen den ÖPNV, 12 Prozent das eigene Fahrzeug, 4 Prozent eine Fahrgemeinschaft und 2 Prozent das Fahrrad.
  • 16 Prozent der Befragten geben an, dass in der Unterkunft eine sozialpädagogische Betreuung angeboten wird.
  • Bei einem Drittel der Befragten steht keine sozialpädagogische Betreuung zur Verfügung. Ein Großteil der Auszubildenden, teilweise auch minderjährige Jugendliche, sind demnach ohne sozialpädagogische Betreuung untergebracht.
  • Eine angemessene und geeignete Unterbringungsmöglichkeit für die Auszubildenden ist für die Attraktivität der dualen Berufsausbildung unerlässlich. Wird eine Unterbringung sichergestellt, führt dies zu einer erheblichen Verkürzung des Schulweges und führt zur Verbesserung der Lebens- und Lernsituation der Auszubildenden.
  • 20 Prozent der Befragten geben an, dass aufgrund der Entfernung zum Berufsschulstandort der Abschluss von Ausbildungsverträgen bereits nicht zustande gekommen ist.
  • 8 Prozent der Betriebe haben bereits die Erfahrung gemacht, dass eine fehlende Unterkunft ausschlaggebend für das Nichtzustandekommen eines Ausbildungsvertrages war.
  • Aufgrund des weiten Schulweges bzw. einer fehlenden Unterkunft kam es in 6 Prozent der Fälle zu einem Wechsel des Ausbildungsberufes.
  • 4 Prozent gaben an, dass ein bereits bestehender Ausbildungsvertrag aufgrund der großen Entfernung zum Schulstandort gelöst wurde.
  • Mit 69 Prozent plädiert die Mehrheit der Betriebe bei der Wahl der Berufsschule zukünftig für eine Orientierung am Standort des Betriebes.
  • 40 Prozent der Betriebe geben an, dass ihre Auszubildenden regelmäßig von Unterrichtsausfällen berichten: davon sprechen 20 Prozent von wöchentlichen Unterrichtsausfällen, 46 Prozent von gelegentlichen Unterrichtsausfällen sowie 34 Prozent von eher seltenen Unterrichtsausfällen.
  • 69 Prozent beziffern den Unterrichtsausfall auf 1 – 2 Stunden/Woche, 26 Prozent auf 3 – 5 Stunden/Woche und 5 Prozent sogar auf mehr als 5 Stunden/Woche.

Sonderumfrage zur Berufsschulsituation in Sachsen: Unterrichtsausfall

  • Lange Schulwege sind Realität vieler Auszubildender in Sachsen. Auszubildende, die teilweise noch nicht volljährig sind, sind einer hohen Belastung ausgesetzt und tragen bereits eine hohe Verantwortung.
  • Große Entfernungen zum Schulstandort haben Auswirkungen auf die Berufswahl, führen zu Absagen bei Ausbildungsplätzen und behindern damit die Ausbildung und Fachkräftegewinnung.
  • Lange Schulwege führen insgesamt zu einer Benachteiligung dieser Auszubildenden und zu einer geringeren Attraktivität der dualen Berufsausbildung gegenüber der akademischen Bildung.
  • Nicht alle Berufsschulstandorte verfügen über eine Möglichkeit der Unterbringung für die Auszubildenden. Wird eine Unterbringung sichergestellt, führt dies zu einer deutlichen Verkürzung des Schulweges und Verbesserung der Lebens- und Lernsituation der Auszubildenden. Andererseits steigen damit auch die Kosten der Ausbildungsrahmenbedingungen.
  • Leider gehört der Unterrichtsausfall mittlerweile zum Alltag vieler Schüler. Lehrermangel bedroht die Qualität der Ausbildung und gefährdet den Ausbildungserfolg. Hier besteht dringender Handlungsbedarf nach neuen Modellen der Ausbildung von Berufsschullehrern, wie z.B. der Etablierung des Studiengangs Ingenieurpädagogik, der Befähigung von Bachelorabsolventen in MINT-Fächern für das Lehramt oder auch der Schaffung von pädagogischen Hochschulen im ländlichen Raum.
  • Die Organisation und die Kosten einer Unterbringung dürfen nicht länger auf Familien und Betriebe abgewälzt werden. Der Erstattungssatz von 16 Euro/Übernachtung mittels der Sächsischen Schülerunterbringungsleistungsverordnung ist nicht hinreichend. Aktuell liegen die durchschnittlichen Kosten bei ca. 25 Euro/Übernachtung in Ballungsräumen. Aufgrund der hohen Energiekosten ist davon auszugehen, dass die Übernachtungskosten noch auf 30 EUR steigen werden.
  • Gemeinsam appellieren die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern eine zügige Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vorzunehmen, und zwar noch vor der geplanten Evaluation der Berufsschulnetzplanung im Jahr 2025. Die gemachten Zusagen im Zusammenhang mit der Einführung der Berufsschulnetzplanung müssen eingehalten werden.
  • Die Schaffung ausbildungsfreundlicher Rahmenbedingungen muss vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels Priorität haben. Qualität der Lehre, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, lange Schulwege, mangelnde Unterkünfte bzw. schlechte Unterkünfte, steigende Kosten der Ausbildung sind Themen, die dringend angegangen werden müssen und vor allem zeitnahe, praktikable und unbürokratische Lösungen erfordern.

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Leiter Nachwuchsförderung

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