Von der ICE-Tür bis zur Greifvogel-Voliere
Robert Iwanetz

Deutsches Handwerksblatt | Ausgabe 12/2020Von der ICE-Tür bis zur Greifvogel-Voliere

Ein Porträt von Robert Iwanetz.

Seit über 120 Jahren arbeitet das Unternehmen von Holger Voigt erfolgreich in Bad Düben. Heute werden dort Spezialseile für Raumfahrt und Medizintechnik gefertigt.

Seiler – das klang für Holger Voigt in seiner Jugend nicht nach großen Träumen. Eigentlich liebäugelte der gebürtige Dübener mit einer Karriere als Berufssoldat. Für die Arbeit in der Werkstatt hinter dem Wohnhaus zeigte er kaum Interesse. Doch als wenig später sein Vater im Sterben und die Zukunft des Betriebs im Ungewissen lag, überzeugten ihn die Eltern und der Großvater, seine Ausbildung doch im Familienunternehmen zu beginnen – als vierte Generation. Das war im Jahr 1979. Damals beschäftigte die Seilerei Voigt, die 1898 von seinem Urgroßvater Gustav Voigt gegründet wurde, ausschließlich Familienmitglieder. Produziert wurden Seile und Wäscheleinen für die umliegenden Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe und ein paar wenige Industriefirmen. „Wir waren ein kleiner Handwerksbetrieb, so unbedeutend, dass uns die DDR einfach machen ließ und keine Verstaatlichung forcierte“, erzählt der heutige Geschäftsführer. Er selbst übernimmt die Firma im Sommer 1990 von seiner Mutter – zum Tag der Währungsumstellung. Die Hoffnungen, dass der Betrieb sich am Markt halten kann, sind damals gering. „Wir waren froh über jeden Monat, in dem wir über die Runden kamen“, erinnert sich der heute 55-Jährige.
 

Eine der größten Seilereien

Die Situation schien anfangs aussichtslos: Sämtliche Kunden hatten ihre Verträge gekündigt. Die Maschinen und das Know-how der Mitarbeiter waren völlig veraltet, auf dem Stand der 1920er-Jahre. Um sich einen Überblick über die Möglichkeiten der Konkurrenz zu verschaffen, hospitiert Holger Voigt damals für einige Wochen in einen Betrieb in der Nähe von Heidelberg. „Da merkte ich, dass wir es mit viel Einsatz vielleicht doch schaffen können.“ In den Folgejahren stabilisiert sich die Lage. Um mehr Platz zu haben, zieht der Betrieb 1994 an den heutigen Standort in ein Gewerbegebiet – und beginnt damit eine große Erfolgsgeschichte: Heute ist der Familienbetrieb eine der größten Seilereien in Ostdeutschland, die sich auf industrielle Kunden spezialisiert hat. 75 Mitarbeiter sind angestellt, darunter vier Seilermeister. Der Standort im Gewerbegebiet wurde bereits mehrfach erweitert. So sind mittlerweile insgesamt fünf Gebäude für die Bürotätigkeiten, die Produktion und als Lagerflächen in Benutzung.
 

Kunden aus nahezu allen Branchen

Angeboten wird eine unglaubliche Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen. Allein der aktuelle Portfolio-Katalog der Firma umfasst 752 Seiten. Zwei Jahre arbeitete Simone Voigt, die sich mit ihrem Mann die Geschäftsführung teilt, allein an der Aufstellung. Das Angebot reicht von Draht-, Faser- und Kunststoffseilen in allen erdenkbaren Größen, über Anschlagmittel, Ketten, Fallschutz-Gurte, Ladungssicherung und Kran- und Hebetechnik. „Unsere Kunden kommen aus nahezu allen Branchen – egal ob Industrie, Handwerk, Bau, Kultur, Landwirtschaft, Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik“, erzählt Holger Voigt. So sind beispielsweise die Bowdenzüge der Firma in jedem einzelnen ICE verbaut. Seine Mitarbeiter konstruieren auch Drahtseilnetze für Vogelvolieren in Zoos und Tiergärten und montieren Seiltechnik auf Theaterbühnen. Die fertig konfektionierten Drahtseile ordern praktisch fast alle namhaften Autohersteller in Deutschland. Die Seilerei installierte schon Drahtseile an der Spitze des Berliner Fernsehturms und entwarf eine Leitungsrohr-Sicherung für ein Wasserkraftwerk am Mississippi. Und wenn sich ein Kunde als Bio-Bauer einen Maulkorb als Hanfseilen wünscht, damit sein Pferd nicht mehr sämtliche Salate wegfrisst, dann wird dieser auch als Einzelstück angefertigt. Zudem gehört zum Dienstleistungsangebot der Firma ein umfassender Prüf-, Reparatur- und Wartungsservice für beinahe alles, was sich laut Unfallverhütungsvorschriften einer jährlichen Inspektion unterwerfen muss.
 

Bedarf an Fachkräften

„Durch diese enorme Bandbreite können wir ein extrem abwechslungsreiches Arbeitsumfeld bieten“, erzählt Holger Voigt. Dadurch habe er bislang kaum mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Das Durchschnittsalter im Team liegt um die 35 Jahre. Seit 2004 wird im Betrieb beständig ausgebildet. Bis heute haben 18 Lehrlinge in den drei Berufen Seiler, Industriemechaniker und Industriekaufmann im Betrieb ihre Gesellenprüfung bestanden. „Einen Markt für fertige Fachkräfte existiert in unserem Gewerk einfach nicht“, so Voigt. Trotz der Erfolge in der Ausbildung sieht er große Probleme auf das Handwerk zukommen. „Wenn meine Generation in Rente geht, wird der Mangel an Fachkräften noch viel eklatanter – allein schon, weil viele Jugendliche durch unsere Sozialsysteme gar nicht mehr arbeiten wollen“, so der Geschäftsführer. Diskussionen, zum Beispiel über ein bedingungsloses Grundeinkommen, hält es deshalb für falsch. „Wenn wir als Gesellschaft wirklich Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität legen wollen, dann wird der Bedarf an Fachkräften nicht nur im Handwerk steigen, weil dann auch wieder vermehrt in Deutschland produziert wird.“
 

Immer innovativ bleiben

Um die Zukunft seines Unternehmens hat er sich indes schon gekümmert. Sein Sohn Konrad, der gerade an der HTWK in Leipzig studiert, hat bereits seine Bereitschaft signalisiert, die Nachfolge einmal anzutreten. Zuerst steht aber die nächste Vergrößerung des Unternehmens an: Im kommenden Jahr soll das jetzige Bürogebäude komplett umgebaut und um eine zweite Etage erweitert werden, damit dort zukünftig auch die Schulungs-, Ausstellungs- und Essensräume ihren Platz haben. Mit dem gewonnenen Raum soll die Produktion erweitern werden. „Unser Anspruch ist es, innovativ zu bleiben“, sagt Holger Voigt. Die nötigen Investitionen dafür, damit auch die fünfte Generation der Voigts einmal am Markt bestehen kann, sind bereits getätigt.
 

Mehr Informationen

www.seilerei-voigt.de

Unternehmen im Fokus

Das Handwerk der Stadt Leipzig sowie der Landkreise Leipzig und Nordsachsen bildet das Fundament der regionalen Wirtschaft. Verantwortungsvolle und clevere Unternehmer stehen mit ihren Namen für Qualität und Zuverlässigkeit. Um die Bandbreite des Wirtschaftsbereichs zu zeigen, werden unter der Überschrift „Unternehmen im Fokus“ in unregelmäßiger Folge Unternehmen exemplarisch vorgestellt.

Dieser Artikel ist auch im Deutschen Handwerksblatt – Ausgabe der Handwerkskammmer zu Leipzig 12/2020 erschienen.


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