Ausbildung, Lehrling, Girls, Berufsausbildung
Jörn Buchheim / fotolia.com

Positionspapier des Sächsischen Landkreistages sowie der Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern Sachsens zur Zukunft der dualen Berufsausbildung im Freistaat Sachsen

5. Juni 2014 | Die Landräte im Freistaat Sachsen und die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der sächsischen Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern trafen sich zu einem Arbeitsgespräch am 5. Juni 2014 in Dresden. Hauptgegenstand war die Diskussion von Positionen zu der von der Handwerkskammer Dresden und der Industrie- und Handelskammer Dresden gemeinsam veröffentlichten Studie zum "Bedarf an berufsbildenden Schulen im Direktionsbezirk Dresden". Im Ergebnis ihrer intensiven Diskussion haben sich die Repräsentanten darauf verständigt, dieses Thema von zentraler Bedeutung mit Nachdruck gemeinsam voranzubringen. Grundlage der weiteren Zusammenarbeit sind folgende gemeinsame Positionen:

1. Wirtschaft mit gut ausgebildeten Fachkräften zukunftsfest machen - Duale Ausbildung gemeinsam weiter stärken!

Mit der dualen Ausbildung verfügen wir über ein weithin anerkanntes Erfolgsinstrument für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses, der wirtschaftliche Stärke und des gesellschaftlichen Wohlstands. Die gesellschaftliche Realität konfrontiert uns allerdings schonungslos mit der Tatsache, dass die duale Ausbildung als Errungenschaft keinesfalls als ein für ewig gesetztes Paradigma besteht und etwa dem Selbstlauf überlassen bleiben darf. Sie befindet sich im Wettstreit mit anderen Bildungswegen. So ist Studieren beliebt wie nie zuvor: 2013 entschieden sich deutschlandweit erstmalig mehr Schulabgänger dafür, ein Studium statt eine Ausbildung zu beginnen. Die Auswirkungen sind gravierend und zeigen sich in inzwischen Tausenden nicht besetzten betrieblichen Ausbildungsplätzen einerseits und überfüllten Hochschulen andererseits. Auch in Sachsen hat dieser Trend starke Fahrt aufgenommen. Der Fortbestand der dualen Ausbildung und ihrer der gesamten Wirtschaft Zukunftsfähigkeit stiftenden Wirkung ist folglich an ständige Weiterentwicklung gebunden. Daher verstehen wir die Stärkung der dualen Ausbildung als eine kontinuierlich zu gestaltende, strategische Herausforderung.

Berufsschule und Ausbildungsbetrieb erfüllen in der dualen Ausbildung einen gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Als eigenständiger Lernort arbeitet die Berufsschule als gleichberechtigte Partnerin mit dem Ausbildungsbetrieb und allen anderen an der Berufsausbildung Beteiligten zusammen.

Insofern kommt dem intensiven und konstruktiven Dialog und der gegenseitigen Unterstützung der Lernorte Berufsschule und Ausbildungsbetrieb - ganz im Sinne einer dualen Partnerschaft - ein herausragender Stellenwert zu. Sowohl die bereits erzielten Fortschritte und Erfolge bei der Stärkung der dualen Ausbildung als auch die Dynamik des Wettbewerbs der Bildungswege motivieren unser Engagement im Verbund mit der Überzeugung, dass eine Stärkung des dualen Ausbildungssystems nur dann mit Erfolg erreicht werden kann, wenn gleichermaßen beide Lernorte ihre Attraktivität, insbesondere durch Gewährleistung einer hohen Ausbildungsqualität, Stabilität und Verlässlichkeit, fortlaufend stärken.

2. Berufsschullandschaft erhalten - Attraktivität der Schulstandorte stärken

Berufliche Schulzentren sind im Grundsatz regional ausgerichtet und lokal eingebunden, greifen Bedarfe der regionalen Entwicklung auf und tragen zu deren Befriedigung bei. Zudem öffnen sie sich für regionale Netzwerke und unterstützen mit ihren Kernkompetenzen die Weiterentwicklung der regionalen Lernkultur. Sie prägen das kommunale Leben entscheidend mit und stiften Identität und tragen mit dazu bei, die in erheblichem Maße von beruflichen Perspektiven beeinflussten Abwanderungstrends zu verringern beziehungsweise zu stoppen. Ihr Erhalt und Fortbestand auch in den ländlichen Regionen müssen daher dauerhaft gesichert bleiben. Deshalb fordern wir, die beruflichen Schulen des ländlichen Raums gleichberechtigt zu denen der urbanen Zentren Dresden, Leipzig und Chemnitz zu entwickeln und bei der Zuordnung von Ausbildungsgängen, Fachklassen und Lehrern angemessen zu berücksichtigen. Ihre spezifischen Belange - gerade unter schwierigen demografischen Rahmenbedingungen - müssen als ein Kernthema in der sächsischen Landes- und Kommunalpolitik stets fest verortet werden.

Berufliche Schulzentren sollen im Kontext ihrer Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen künftig noch stärker mit allgemeinbildenden Schulen auf dem Gebiet der Berufsorientierung kooperieren und zur Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung, vor allem durch eine an der Praxis ausgerichtete Berufsorientierung mit direkter Einbindung von regionalen Unternehmen, beitragen. Dazu sind die komfortablen Werkstatt- und Laborressourcen als Brücke in die Ausbildung konsequent zu nutzen.

Die Attraktivität von Schulstandorten hängt von deren Stabilität und Entwicklung durch Planungssicherheit, respektive Investitionsperspektive, maßgeblich ab. Insofern soll im Kontext der demografischen Rahmenbedingungen und regionalen Wirtschaftsentwicklung eine Spezialisierungs- beziehungsweise Konzentrationsstrategie für die Schaffung langfristig stabiler Schulstandorte mit Alleinstellungsmerkmalen verfolgt werden, die einen sinnvollen überregionalen Austausch und so einen wirtschaftlichen Schulbetrieb ermöglicht.

3. Schulnetzplanung aus einer Hand - für fairen Interessenausgleich sorgen

Den Spezifika der dualen Ausbildung im Allgemeinen und denen der Beruflichen Schulzentren im Besonderen Rechnung tragend, hat die Netzplanung für berufsbildende Schulen im Vergleich zu anderen Schularten eine völlig andere Charakteristik. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kommt es zu einer strukturellen Ausrichtung der Berufsschulen, die im Wesentlichen durch überregionale Merkmale beziehungsweise Erfordernisse geprägt ist.

Um dauerhaft tragfähige Strukturen zu etablieren, ist ein intelligenter und fairer Interessenausgleich zwischen den Oberzentren und den umliegenden Regionen erforderlich. Da die heute bestehenden Instrumente zur Sicherung der Beruflichen Schulzentren und zur Lenkung von Schülerströmen nicht mehr ausreichend sind, fordern wir eine stärkere Steuerung des Prozesses durch den Freistaat, mithin ein staatliches Konzept für den Erhalt berufsbildender Schulen im ländlichen Raum.

Berufliche Schulzentren wie Ausbildungsbetriebe brauchen mit Blick auf Ausbildungsbereitschaft und Ausbildungserfolg Planungssicherheit und stabile Ausbildungsabläufe. Der Wechsel von Fachklassenstandorten beziehungsweise ihre latente Infragestellung führt bei allen am Ausbildungsprozess Beteiligten zu permanenter Verunsicherung und zu Missmut. Die derzeitige Form der Schulnetzplanung kann vor dem Hintergrund der geänderten demografischen Rahmenbedingungen mit der Folge notwendig größerer Einzugsgebiete dieser zu Lasten der beruflichen Schulzentren im ländlichen Raum gehenden Entwicklung nicht mehr hinreichend gegensteuern. Daher halten wir eine zentrale Steuerung der Schulnetzplanung im berufsbildenden Bereich durch das Sächsische Staatsministerium für Kultus und die damit verbundene Novellierung des Schulgesetzes für dringend geboten. Damit verbunden ist eine stärkere Verantwortungsübernahme des Freistaates für künftige Prozesse, aber auch für vergangene.

Schulnetzplanung aus einer Hand auf Ebene des Freistaates schließt jedoch die Einbeziehung der an der Ausbildung Beteiligten, wie zum Beispiel Schulträger, zuständige Stellen, Bundesagentur für Arbeit, nicht aus. Ganz im Gegenteil, der intendierte Interessenausgleich kann nur und muss durch ein enges kooperatives Miteinander wesentlich befördert und manifestiert werden.

4. Funktionsfähigkeit und Professionalität durch pädagogischen Nachwuchs sichern

Berufliche Schulzentren bleiben nur funktionsfähig und auf hohem fachlichem Niveau, wenn der mit dem demografischen Wandel einhergehende immense Ersatzbedarf an qualifiziertem pädagogischem Personal bei gleichzeitiger Gewährleistung von Qualitätsansprüchen befriedigt wird. Ein ganz besonderer Schwerpunkt sächsischer Bildungspolitik muss daher auf der Sicherstellung der qualitativen und quantitativen Verfügbarkeit von pädagogischem Personal liegen, das durch bedarfsorientierte Aus- und Fortbildung in der Lage ist, allgemeinbildende beziehungsweise berufsfachliche theoretische Kenntnisse den aktuellen und sich perspektivisch abzeichnenden Anforderungen entsprechend praxisbezogen zu vermitteln.

Dazu wird erwartet, dass der konkrete Sachstand der Realisierung des im Dezember 2011 verabschiedeten "Bildungspakets Sachsen 2020: Exzellente Lehrerausbildung für ein erstklassiges Schulsystem" unter besonderer Berücksichtigung der Bedarfe der Beruflichen Schulzentren für die gewerblich-technischen Berufe ausdrücklich der Metalltechnik, Elektrotechnik, Bautechnik, Holztechnik, Kunststofftechnik und Chemie transparent reflektiert wird. In diesem Kontext sollen die konzipierten beziehungsweise die bereits praktisch eingerichteten Instrumente und deren Wirksamkeit zur Unterstützung der Gewinnung, Ausbildung und Bindung des Lehrernachwuchses für berufsbildende Schulen evaluiert und eine ganzheitliche Strategie zur Sicherung des Lehrernachwuchses erstellt werden. Fester Bestandteil einer umfassenden und nachhaltigen Akquise soll die systematische Ausweitung der Gewinnungsaktivitäten auf sämtliche bisher noch nicht ausreichend beziehungsweise noch gar nicht in das Blickfeld genommene Personenkreise für eine Studien- und Berufsperspektive im berufsbildenden Lehramt sein, gekoppelt mit attraktiven Qualifizierungsangeboten im Kontext des Direkt- beziehungsweise Seiteneinstiegs in die Lehrtätigkeit. Dabei ist auf die Gewinnung von Studieninteressierten für das Lehramt an berufsbildenden Schulen in gewerblich-technischen Berufsbereichen besondere Aufmerksamkeit zu legen.

5. Rahmenbedingungen an die Situation der Auszubildenden anpassen

In lang anhaltenden, demografisch schwierigen Zeiten ist die Zuordnung der Lernenden an die Beruflichen Schulzentren nach dem in Sachsen derzeit geltenden so genannten Wohnortprinzip nicht haltbar. Hier greift die zentrale Schulnetzplanung steuernd ein. Andererseits ist Niemandem gedient, wenn betriebliche Ausbildungsplätze nicht angenommen werden, weil sich der Weg zur Berufsschule zur örtlichen, zeitlichen und finanziellen Hürde aufbaut. Die Auszubildenden sollen nicht die alleinigen Träger der Lasten infolge notwendiger Neugestaltung des Schulnetzes sein.

Mit Augenmaß ist daher abzuwägen, was tatsächlich für den Einzelnen zumutbar ist. Entscheidungen zum Schulbesuch beziehungsweise zur Fachklassenbildung dürfen nicht zur Schwächung des öffentlichen Schulwesens und der dualen Ausbildung führen. Die derzeitigen Regelungen für die Gewährung einer Unterstützung für erhöhte Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung bei notwendiger auswärtiger Unterbringung bedürfen einer dringenden Überprüfung hinsichtlich der Entfaltung ihrer zeitgemäßen unterstützenden Wirkung.